REZENSION
                             
       

"Das Einfache ist das Merkmal der Wahrheit"

Markus Wolf liest Texte seines Vaters -- von MaWozniak

   
       
    Am 5. Oktober 2003 jährte sich der Todestag Friedrich Wolfs zum 50. Mal. Zu diesem Ereignis erinnert der Verlag Das Neue Berlin mit einem Lesebuch an das umfangreiche und vielfältige Werk des 1888 geborenen Schriftstellers. "Du bleibe!" ist der Titel des von Christel Berger herausgegebenen Buches, aus welchem der prominente Sohn Friedrich Wolfs, der 1923 geborene Markus Wolf, am 18. März 2004 im Literatur Salon (?) Greifswald einige Proben las. Der recht hohe Eintrittspreis von 5,50 EURO mag der Grund gewesen sein, dass nur knapp 30 Personen bei den sonst regelmäßig überfüllten Veranstaltungen mit Markus Wolf zugegen waren, davon nur 10 Prozent unter Dreißig…
       

Die Einführung einer Dame aus Greifswald erinnerte einerseits an eine Verkaufsveranstaltung, andererseits jedoch fühlte man sich in andere Zeiten versetzt. Ich zitiere: "Meine Damen und Herren, eben sind noch Bücher gekommen, hier einmal von Friedrich Wolf Märchen für große und kleine Leute (??) und von Markus Wolf selber Freunde sterben nicht. Dieses Buch gibt es noch nicht (???), also als Taschenbuch, das gibt es nur heute bei uns…" -- kurze Pause -- " Wir sind ja heute im kleinen Kreis, kommen sie doch noch nach vorne, hier auf dem Sofa ist noch Platz, ja, setzen sie sich doch auf's Sofa… aber der Sessel ist für den Kraftfahrer von Markus Wolf (!). Hier sind übrigens noch mehr Bücher, einmal Die Natur als Arzt und Helfer von Friedrich Wolf und von Markus Wolf selbst ein Buch über Die Besonderheiten der russischen Küche (!!). Wir alle kennen ja Friedrich Wolf als großen Humanisten (????) [blabla…kurze lexikonartige Angabe der Lebensdaten…blabla] …er war sein ganzes Leben Arzt, humanistischer Schriftsteller und Kämpfer (!!!)…… ist dem noch was hinzuzufügen?" (Blick auf M.W.) "Das weiß ich doch nicht?"

   
       
    Danach begann der noch rüstige Markus sofort die Lesung, ohne eine weitere Einführung zu geben, oder einen besonderen Kontakt mit dem Publikum aufzubauen. Er las aus dem 1921 entstandenen expressionistischen Aufsatz: Gymnasten über euch! einen kurzen Abschnitt mit kritischen Tendenzen zur Fortschrittsgläubigkeit -- interessanter Einstieg. Daran schloss sich sofort ein kleiner Abschnitt aus dem, nach Aussagen Markus Wolfs, erstmals 1928 erschienenen, 1988 und 2003 (M.W. sagte 53) wiederveröffentlichten naturheilkundlichem "Bestseller" Die Natur als Arzt und Helfer mit dem Titel: Das Einfache ist das Merkmal der Wahrheit. Kommentarlos und nur in Bezug auf den Titel einleuchtend folgte darauf der kurze Text Die Juden von Marseille und sofort die Fabel Der wackere Igel. Herr Wolf berichtete nun davon dass in dem Lesebuch ein Drama enthalten sei, was er bei nochmaligem Lesen als Krimi empfand. Es handelt sich um ein Stück, welches in der arabischen Welt spielt (Tamar). Das sei allerdings nicht zum Vorlesen geeignet, er lade jedoch alle ein, es selbst zu lesen. Nun folgten noch drei Briefe, die Markus Wolf etwas kommentierte, vor allem im Hinblick auf die Personen, zum anderen aber wollte er damit die Gerüchte um den angeblichen Selbstmord seines Vaters ausräumen. Der erste Brief vom 11. September 1953 war an Irmgard Schaf gerichtet, der zweite an Markus Wolfs Mutter Else Wolf vom 24. September 1953. Der letzte Brief, der zugleich die Lesung aus dem Lesebuch Du bleibe! abschloss, war das Vermächtnis Friedrich Wolfs, welches am 6. Oktober 1953 den Pfarrer Kleinschmitdt veranlasste, als letzter Gesprächspartner des Autors selbiges an Otto Grotewohl zu leiten… eine gelungene Auswahl, die Friedrich nicht nur als "Kämpfer für die Sache" sonder auch als "Kämpfer für die Kunst" zeigte…
       

An dieser Stelle überraschte Markus Wolf mit der Ankündigung, er werde nun noch aus seinem eigenen Buch Freunde sterben nicht vorlesen. Dies sei ihm ein Bedürfnis, da er am Tag nach der Lesung die Trauerrede auf der Beerdigung einer Feundin, die in seinem Buch porträtiert sei, halten würde. Er las aus diesem Kapitel einige eindrucksvolle Stellen, deren Höhepunkt die Argumentation bildete, nicht alles in der DDR sei schlecht gewesen -- das Gute wird bleiben, wie auch das Gute des Bauernkriegs und Beethovens' "Neunte" (?) geblieben sei. Darauf konnte wahrhaft keiner mehr was sagen, weshalb sich bei der Einladung, doch Fragen zu stellen, keiner meldete.

   
       
    Eine Frage wurde dann doch gestellt, diese bezog sich jedoch wieder auf Friedrich Wolf und den Umgang in der Familie mit ihm. Wie lebt man mit einem Vater, der Schriftsteller ist und wie führt man die eigenen Kinder an das Werk eines schreibenden Großvaters heran? Darauf antwortete Markus Wolf ganz sachlich und ausführlich. Er berichtete davon, dass trotz der Emigration in die SU und der vielen Reisen des Vaters ein ganz normales Familienleben stattfand. Sein Bruder Konrad und er seien von dem Vater oft nach ihrer Meinung zu den Texten gefragt worden, er nahm ihre Urteile stets ernst. Auch waren sie von klein auf mit bei Proben und Aufführungen der Stücke. Das Werk lebt natürlich in der Familie weiter, sind doch gerade die Märchen und Tiergeschichten für die Enkel geschrieben worden. Sein Urenkel fragt jetzt sogar schon nach der Weihnachtsgans Auguste, die ja weitaus bekannter als seine Stücke sei. Es gäbe noch viele Geschichten mit dem Delfin Pitschpatschfitschless, die der Vater erzählt habe und die seitdem immer weiter erzählt wurden. Eigentlich wäre es jetzt an ihm, diese Geschichten aufzuschreiben. Damit schloss die Lesung und Markus Wolf musste den starken Andrang der Signierwünsche in seine Bücher bewältigen.
       
     
© by MaW, 21. März 2004