REZENSION
                             
       

dada-Mystik

Neue Quellen werden angezapft oder Die Avantgarde rehabilitiert sich selbst, von M. Wozniak am 22. Januar 2007

   
       
   

Der für Ultraschallverhältnisse gutgefüllte große Saal des Konzerthauses war in großer Erwartung. Hans Zender dirigiert Hans Zender. Der Abend des 22. Januar 2007 begann mit der Komposition Stücke Charakter, Kammermusik für sechs Instrumente (2005) vom Nachwuchskomponisten Hans Thomalla. Dieses fragmentierte Stück verteilte Einzeltöne, Lautstärkeänderungen, rhythmische Figuren oder Melodien auf die Instrumente Klavier, Oboe, Klavier, Viola, Violine, Violoncello. Die Effekte dieses 20-minütigen Stückes waren sehr beeindruckend und ließen einen guten Abend erwarten.

       

Das bestätigte sich gleich im zweiten Stück, einer Kantate nach Worten von Meister Eckehart für Altstimme, Altflöte, Violoncello und Cembalo von 1980. Der Komponist dieses Stückes, Hans Zender, blieb hier als Dirigent im Hintergrund. Die vier Sätze von jeweils ca. fünf Minuten gaben tatsächlich eine Ahnung von Mystik. Das Cemballo war mit Verstärkereffekten versehen und wirkte oftmals wie verzerrt. Auch schienen sich die Texte und Töne jeweils von Instrument zu Instrument und von Stimme zu Instrument zu transformieren. Diese Aufführung war sehr beeindruckend.

   
       
   

Es folgte von Isabel Mundry Le Silence - Tystnaden für Ensemble von 1993/98. 20 folkloristische Minuten boten ein knackiges Schlagzeug mit häufigem Zusammenspiel. Große Dynamik ersetzte alles fragmentarische und vor allem Schlagzeug und Oboe boten Reminiszenzen an Folklore. Nach einer kleinen Pause folgte Jose M. Sanchez-Verdu mit den Machaut-Architekturen IV und V für Ensemble. Involviert waren Klavier, Violine, Cello, Saxophon, Klarinette, Flöte und Schlagzeug. Die recht komplexe Komposition brachte den Zusammenhang von Fließendem und Begrenztem zu Gehör. Wichtig war die Begrenzung, die vor allem von Schlagzeug und Klavier verdeutlicht wurde. Die Architekturen im Titel waren programmatisch und vereinnahmten die Assoziationen komplett.

       

Der letzte Programmpunkt war nun so widersprüchlich wie überraschend: Cabaret Voltaire von Hans Zender. Dieses Stück von 2000/2001 nach Texten von Hugo Ball für Sopran und acht Instrumentalisten rehabilitierte nicht nur dada, sondern verwies die neue Musik auf eine ihrer Wurzeln, wenn nicht sogar die Wurzel schlechthin. Problematisch erschien nun aber die Aufführungspraxis, die eben dada nicht nur rehabilitierte, sondern geradezu karikierte, natürlich unbeabsichtigt. Die ausgezeichneten 6 Teile waren insgesamt sehr strukturiert. Nur der zweite und vielleicht die letzten beiden kakophonischen Teile wirkten dekonstruktivistisch, was bei einer Auseinandersetzung mit dada unumgänglich ist. Die anderen Teile waren sehr rhythmisch, teilweise düster (Teil 3) und sehr sauber. Klar verständliche dada-Silben, die von den Instrumenten als Echo imitiert wurden oder unisono erklangen, wirkten ganz und gar nicht parodistisch. Ein einziger Parodieeffekt entstand im Standbild des Schlusses, was ganz klar auf die Distanz von Künstler und Publikum verwies und dem Künstler die entscheidende Rolle zubilligte. Die nimmt aber nach wie vor das Publikum ein, welches in diesem Fall frenetisch jubelte. Bravo-Rufe ertönten und das klassische Spiel der Live-Aufführung hatte den nötigen Ernst nun eben auch bei dada. Das ist um so bemerkenswerter, als nunmehr der Impetus von dada in sein Gegenteil verkehrt ist und hier Anspielungen auf gesellschaftsfähigen Dadaismus durchgespielt wurden. Deshalb erfordert genau diese Aufführung eine erneute Auseinandersetzung sowohl mit den Traditionenen der neuen Musik (gehört dada dazu?) als auch mit der Aufführungspraxis als Barometer des Geschmacks. Großartig!

   
       
     
© by MaWozniak, 03. Februar 2007