REZENSION
                             
       

Bewegungen am Rande

Kammermusik als Eröffnungserlebnis des UltraSchall-Festivals 2006, erlebt von MaWozniak am 20. Januar 2006

   
       
   

Beim diesjährigen UltraSchall-Festival gab es mehr oder weniger zwei Eröffnungen. Einmal konnten am Donnerstag, dem 18. Januar 2006, die Zuschauer Franco Evangelistis häufig aufgeführtes Tanztheaterstück Die Schachtel in den Sophiensælen bewundern. Zum Zweiten begann das Festival hochoffiziell am 19. Januar 2006 im Großen Saal des Konzerthauses Berlin mit einem Orchesterkonzert unter dem ambitioniert klingenden Titel >Polska Avantgarde 1<. Dieser programmatische Titel macht einerseits die Bemühungen des Festivals deutlich, andererseits zeigt er aber auch die Gefahren solcher geschmacksbildenden Festivals auf. In diesem Jahr wurde nämlich neben zahlreichen Werken polnischer Komponisten vor allem dem italienischen Komponisten Franco Evangelisti ein Podium geboten. Dezidiert wird auch bei Evangelisti betont, dass es sich bei seinen Werken um ungerechtfetigterweise vernachlässigte Meisterwerke der Avantgarde handeln soll, genauso wie im Titel des ersten Abends >Polska Avantgarde<. Das Konzert im großen Saal wurde von den Veranstaltern mehr oder weniger gelungen moderiert um die Pausen während der Liveübertragung zu überbrücken. Es soll im weiteren nicht besprochen werden.

       

Statt dessen wird sich dem zweiten Konzert dieses Abends gewidmet. Unter dem Titel >Polska Avantgarde 2< und im direkten Anschluss an das Orchesterkonzert gab es im Kleinen Saal des Konzerthauses Berlin Kammermusik für Streichquartett von fünf polnischen Komponisten, darunter ein relativ junges Stück von Tadeusz Wielecki. Das ca. 20-minütige Streichquartett von 2004 zeichnete sich vor allem aus durch die Dynamik, die ein Gefühl von ständiger Bewegung hervorrief. Die Steigerung von Tonhöhe oder Lautstärke war jedoch unvorhersehbar und nicht oberflächlich. Trotzdem war dieses Werk nicht das herausragende innerhalb des vom Silesian String Quartet absolvierten Konzerts.

   
       
   

Herausragend war Witold Lutoslawskis Streichquartett von 1965. Als Schlagwort für dieses Stück könnte Begegnung oder Kommunikation treffend sein. Es ergaben sich zahlreiche Kommunikationszusammenhänge zwischen den Instrumenten, die ihre Vebindung, aber auch ihre Unterschiede anschaulich machten. Für die Verbindung sei die gegen Ende des 20-minütigen Stückes zunehmende Aufteilung von Sechzehntelnoten auf alle Instrumente genannt. Dabei verteilten sich die 16 Noten permutierend auf die Instrumente, indem jedes Instrument zwei spielte. Für die Unterschiede gab der Solopart des Cellos ein anschauliches Beispiel. Dabei verschwamm sogar der charakteristische Celloton zu einem fremden Klang, der sogar noch das Cello von sich selbst entfernte.

       

Der Beginn des Konzertes mit Franco Evangelistis Aleatorio brachte einen Klassiker der Kammermusik für Streichquartett auf die Bühne. Dieses Stück erprobt die Aleatorik für Streicher, hat aber nichts von einer Studie. Die kurze Komposition arbeitet mit langen Pausen und verstimmten Violinen. Das aleatorische Muster war allerdings ebensowenig erkennbar wie die rhythmische Permutation.

   
       
   

Schon eindeutiger präsentierte sich das Stück 1+1+1+1 (1969) von Witold Szalonek, ein großartiges Feuerwerk mit dominierenden perkussiven Klängen. Es ließen sich Anklänge an Minimal- und andere Kompositionen finden, mit denen parodistisch umgegangen wurde. Den Abschluss bildete Krzysztof Pendereckis Streichquartett Nr. 2 von 1968. Dieses kurze und ambitioniert vorgetragene Stück kann gleichfalls als Klassiker der Kammermusik gelten. Es wurde mit einer Frische und Energie vorgetragen, dass vor allem der komische Charakter der Komposition zur Geltung kam. Der Beifall der wenigen Besucher kompensierte das sonstige Desinteresse und konnte die vier Musiker sicher gut bestärken, auch weiterhin an diesem Programm zu arbeiten. Aber der Titel versprach doch mehr, als eingelöst wurde. Denn mit polnischer Avantgarde hatte das nun alles nichts zu tun. Vielmehr hat die Erweiterung um Evangelistis Aleatorio aufgezeigt, dass die Avantgarde kaum etwas mit nationalen Grenzen zu tun hat. .

       
     
© by MaWozniak, 01. Februar 2006