REZENSION
                             
       

Palindrome entgegengesetzter Qualität

Was der DAAD so alles fördert und warum es wichtig ist, ein Konzertbesuch mit MaWozniak am 25. Januar 2006

   
       
   

Am Abend des 25. Januar 2006 erwartete das Publikum in den Sophiensælen ein Gegensatz, wie er größer nicht hätte sein können. Dem reduzierten, fast inhaltslosen Programm der ersten Hälfte des Abends stand ein fülliges und sinnliches Erlebnis in der zweiten Hälfte entgegen. Es begann mit einem Stück von Mark André, welches unter dem programmatischen biblischen Titel …zum staub sollst du zurückkehren… stand, jedoch auf der ganzen Linie enttäuschte. Das ca. 15-minütige Stück von 2003 für Ensemble, bestehend aus Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello, Klavier und Schlagzeug war so reduziert wie struktur- und konturlos. Wenige Töne wurden in manierierter Art auf den Instrumenten angedeutet. Dazu sollten Aluminiumfolien Windgeräusche simulieren, was nicht überzeugend war. Dieser Auftritt des DAAD-Stipendiaten war nicht interessant. Es wirkte eher effekthaschend, als das Klavier mit dem Hammer bearbeitet wurde und gegen Ende des Stückes Kakteen zu Perkussionsinstrumenten wurden.

       

Es folgte ein Klassiker von Anton Webern. Drei kleine Stücke (1914) für Violoncello und Klavier op. 11 überzeugte angesichts seiner Kürze und seines richtungsweisenden Arrangements. Wenige Töne spielten mit den Möglichkeiten atonaler Kompositionsweisen in weniger als zwei Minuten. Das folgende Stück von Mark André für Bassklarinette solo, …in… (2001/02) konnte wiederum aufgrund seiner Strukturlosigkeit und völligen Reduziertheit keine Form gewinnen, auch wenn sich die Instrumentalistin mit den Möglichkeiten der Schallreflexion alle Mühe gab.

   
       
   

Wiederum ein Klassiker für Viola solo erklang mit Helmut Lachenmanns Toccatina von 1986. Feinste Töne unter reduzierten Pizzicato-Klängen erzeugten auf mehreren Klangebenen ein herausragendes Hörerlebnis. Die fünf Minuten wurden mit einer Pointe abgeschlossen, die das aufgeschlossene Publikum für sich einnahm. Den Abschluss des ersten Teils an diesem Abend bildete …zu… für Streichertrio (2003/05) von Mark André. Das 11-minütige Stück bot wiederum kein rechtes Profil und klang reichlich manieriert.

       

Dafür bot der Opener des zweiten Teiles von Lucia Ronchetti trotz seiner Kürze ein einzigartiges Hörerlebnis. In shape of anxieties. In Nomine Studio für Flöte, Klarinette, Klavier, Violine, Viola und Violoncello (2005) wurde uraufgeführt und bestach durch seine Fülle und sein Konzept. Voluminöse Töne in fortissimo zeigten die Möglichkeiten, in einer Webern und Lachenmann vergleichbaren Aufführungszeit neue Akzente zu setzen. Spannungsreiche Verbindungen der Instrumente ohne Dominanz oder unisono begeisterten das Publikum hellauf.

   
       
   

Das zweite Stück von Lucia Ronchetti war eine Auftragskomposition von Musik der Jahrhunderte und des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Pinoccio, una storia parallela auf Texte von Giorgio Manganelli für vier Männerstimmen (2005) kam zur Uraufführung und bot Gewohntes wie Ungewohntes. Leicht, aber anspruchsvoll wurden Traditionen des Madrigalgesangs mit denen modernen Operngesangs verbunden. Vor allem inhaltlich gelang es der Komposition, das Publikum zu fesseln und tatsächlich etwas zu vermitteln. Der bekannte Pinocchio-Stoff wurde neu und originell interpretiert, wobei die Verse von Giorgio Manganelli schon einen eigenen Zugang zu Colodis Pinocchio hatten. Ein durch die Expressivität der Sänger spannungsreicher Handlungsaufbau überzeugte das Publikum vollkommen. Die Parodie klang nie aufgesetzt und das Neue nie bemüht.

       

Als experimentelles Intermezzo muss die Komposition I sonni di Atys gelten, die von Lucia Ronchetti als Studie für Viola solo und Live-Elektronik (2003/04) angekündigt worden war. Die Viola begann mit einem charakteristischen Bratschen-Sound, der allerdings von Anfang an verfremdet war. Im Laufe des fast 20-minütigen Stücks schienen einige Reminiszenzen auf, die aber durch die elektronische Vervielfachung, Verstärkung, Permutierung und Wiederholung eigene Aspekte gewannen. Im zweiten Teil des Stücks war der Charakter der Viola fast verschwunden, wogegen zwischen den Teilen und gegen Ende die Studie etwas abflachte. Hier schien tatsächlich nur ausprobiert worden zu sein, was etwas schade war. Das Stück hatte sonst die Handschrift der Komponistin und zeichnete sich durch Volumen und Charakter aus. Die Längen hätten reduziert werden können.

   
       
   

Den Abschluss bildete das Stück Anatra al Sal für sechs Stimmen (1999-2000). Diese komische Komposition spielte mit den Verhältnis zwischen den Sängern untereinander, aber auch mit dem Verhältnis Sänger-Publikum. Zwei Gruppen standen sich gegenüber und unterhielten sich musikalisch. Dabei stellte jede Stimme einen Charakter dar, der auch vor und nach dem Gesang eine Rolle der Sänger zu sein schien. Dieses Stück rief tosenden Beifall hervor, was zeigt, dass vor allem die inhaltlichen Gesangskompositionen das Publikum anzusprechen vermögen..

       
     
© by MaWozniak, 01. Februar 2006