REZENSION
                             
       

Rollentausch

Neue Seiten der Instrumente und eine Uraufführung auf dem Ultraschall-Festival am 19. Januar 2004 -- gehört von MaWozniak

   
       
    Die unangenehmen Dinge in den Sophiensælen häufen sich leider. Neben dem üblichen Einlass in letzter Minute störte am 19. Januar 2004 vor allem ein Scheinwerfergeräusch, das permanent wie ein Metronom einen wirren Rhythmus vorgab. Von diesem ließen sich die Musiker vom ensemble recherche allerdings nicht stören, obschon das Programm viele leise Stücke vorsah.
       

Eröffnet wurde selbiges von Chaya Czernowins Afatzim von 1996. Der Einsatz auf dem Kontrabass, welcher die Dominante der gesamten Komposition darstellte, erweiterte sich sofort in einer ungemein feinen und doch dynamischen Zusammenstellung aller Instrumente, die da wären: Flöte, Oboe, Klarinette, Klavier, Schlagzeug, Violine, Viola, Violoncello und eben Kontrabass. Hier deutete sich sofort das musikalische Motto an - das Motto im Programmheft global music ist wohl eher geographisch zu verstehen -, und zwar ging es um sinnliches Ergänzen und Rollentausch. In Czernowins Stück ging die Dynamik von der Perkussion und dem Klavier aus, wobei sich alle, vor allem die Bläser, rhythmisch ergänzend in dieses Spiel einfügten. Sie erzeugten jedoch keinen Klangteppich, sondern eher genaue und feine Klänge, die gleichzeitig fremdartig -- im Sinne exotischer Zitate aus Folklore usw. -- und wohlbekannt waren. Frau Czernowin konnte den Beifall für ihr 30-minütiges Werk selbst in Empfang nehmen.

   
       
    Das darauf folgende Stück von Martin Smolka Oh, my admired C minor für Flöte, Klarinette, Klavier, Violine, Viola und Violoncello aus dem Jahre 2002 begeisterte durch ähnliche Klarheit, allerdings aus einer gänzlich anderen Perspektive. Das dreisätzige Stück begann mit einer kongenialen Tonaufteilung auf die verschiedenen Instrumente, so dass hier ein einfaches und trotzdem anspruchsvolles Motiv entstand und weitergeführt wurde. Das im ersten Satz vom Cello angeführte Motiv steigerte sich im zweiten Satz sowohl in der Dynamik als auch in der Lautstärke. Inzwischen wurde das Motiv vom Klavier angeführt und der Kontrast zum Satz eins brachte unglaubliche Energie in das Spiel. Was nun den dritten Satz betrifft, büßte er nichts von seiner Intensität und Energie ein, obwohl er völlig ruhig, klar, teilweise minimal und von der Flöte dominiert erklang. Dieses 20-Minuten-Stück stellte wohl den Höhepunkt des Abends dar.
       

Als Uraufführung stand im Anschluss daran ein Auftragswerk von DeuschlandRadio Berlin auf dem Programm, wobei erst kurz vor der Aufführung ein Titel von dem aus Israel stammenden Komponisten Yuval Shaked vergeben wurde. Das Stück aus dem letzten Jahr nennt sich entende harmonique und ist für Flöte, Oboe, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello, Klavier und Perkussion. Am herausragendsten war an diesem Stück der Einsatz des Klaviers als Perkussionsinstrument. Auch hier dominierte Klarheit, Feinheit und Fremdheit der Instrumentalklänge. Der anwesende Komponist hatte über den Moderator verlauten lassen, dass das Stück eine "Zufluchtsbeschäftigung am Rande politischer Konflikte" darstelle, und zugleich mit der Geburt seines vierten Sohnes zusammenfällt. Überraschenderweise war das Stück nun gerade nicht durch Hektik, Lautstärke oder andere emotionale Musikausdrücke gekennzeichnet, sondern eher in einer ruhigen, ätherischen Stimmung mit klaren, fremden Klang- und Nichtklangwechseln.

   
       
    Nach der Pause wurde vom Trio Violine, Violoncello und Klarinette ein überaus ruhiges und überzeugendes Stück von Vadim Karassikov interpretiert. Looming outlines of autumn von 2001 begeisterte mit seiner minimalen Gewalt des Andeutens und Anklingens in fortepianissimo oder was weiss ich. Jedenfalls wirkte bei diesem überaus interessanten Stück, das dem Wind ähnlich war, das Geräusch des Scheinwerfers besonders störend. Das soll jedoch keinesfalls das zweisätzige, 15minütige Stück beeinträchtigen.
       

Vielmehr leitete es sehr gut zum Abschlussstück von Dragomir Yossifov, Opera instabile… voci invisibili von 2002 über. Dieses Stück für Flöte (Piccolo), Oboe, Klarinette (Basssaxophon), Schlagzeug, Violine, Viola, Violoncello und Tonband wirkte am Schluss doch etwas müde, weil es seine Qualitäten vor allem im mikrotonalen Bereich (wie auch schon Smolka teilweise) und in besonders ruhigen Parts für mehr als 20 Minuten entfaltete. Als Besonderheit und großer Lichtblick muss das Basssaxophon gelten, welches keine Dominanz, aber einen interessanten Gegenpart zu den überaus abwechslungsreichen Perkussionsklängen darstellte. Das Tonband war als Erweiterung eingesetzt. Es führte Streicher- und Bläserklänge aus und unterlegte alles teilweise mit Rauschen. Der Titel sagt ein Übriges über die Komposition. Alles in allem ein würdiger Abend in den gefüllten Sophiensælen, was für dieses Festival wirklich einiges aussagt. Das 120köpfige Publikum honorierte lange die Leistung von Melise Mellinger (Violine), Barbara Maurer (Viola), Lucas Fels (Violoncello), Martin Fahlenbock (Flöte), Jaime Gonzáles (Oboe), Shizuyo Oka (Klarinette), Christian Dierstein (Schlagzeug), Jean-Pierre Collot & Klaus-Steffes-Holländer (Klavier) sowie Jonathan Stockhammer als Leiter und Dirigent von Afatzim und entende harmonique.

   
       
     
© by MaW, 19. Januar 2004