REZENSION
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"Das hat uns doch alle weiter gebracht: spirituell - dramatisch - menschlich."

Fluch der Karibik, USA 2003, R: Gore Verbinski, 143 min - rezensiert von MaW

   
       
    Wie lange schon gab es keinen richtigen Piratenfilm. Wo waren sie hin, die Flibustier und Meuterer, die Galgenvögel und Vogelfreien. Das Genre schien nach Errol Flynn und dem roten Korsaren (der von Verbinski oft zitiert wird) ausgereizt. Jeweils im Zehnjahresrhythmus kam zuerst die Parodie von Polanski und danach der Kinoflop Die Piratenbraut (1995) und nun Fluch der Karibik (2003). Der Polanskiklassiker Piraten (1986) hatte damals mit den Klischees durchweg aufgeräumt. Die Komik dieses Films ist schwer zu überbieten, noch dazu, wenn man sich wieder etwas ernsthafter gebiert, wie es bei Fluch der Karibik trotz aller Komik den Anschein hatte. Auch wenn das Kino inzwischen die Ironie als filmisches Mittel zur Erzeugung von Komik entdeckt hat, strotzen neuere Filme dennoch vor unfreiwilliger Komik. Aber man weiss ja, worauf man sich einlässt. Es erinnerte doch eher an Slapstick, wenn Captain Sparrow mit seinem untergehenden Schiff gerade so den Kai erreicht und direkt aus dem Ausguck an Land steigt. Die Mischung Slapstick-Abenteuer ist ein relativ neues Phänomen, zumindest in dieser Übertriebenheit und in diesem Genre. Hier ist es eben kein Augenzwinkern mehr, hier ist es der Holzhammer. Man ist fast an Kinderfilme oder Abenteuer à la Bud Spencer erinnert. (Mit Johnny Depp erlebte man etwas ähnliches, aber insgesamt gelungener, in Sleepy Hollow von Tim Burton.)
       

Was den Film Fluch der Karibik nun doch zu einem gelungenen Abend machte, war also weder die Komik, noch die Filmtechnik, die natürlich bei einem Abenteuerfilm ein Rolle spielt. Hier muss sogar noch eingeschränkt werden, dass weniger als erwartet passierte. Die Kanonenkugeltricks kannte man ja eigentlich schon, aber atemberaubende Kameraritte auf der Kanonenkugel gab es nicht. Hier wurde auf eine authentische Kulisse gesetzt und auch die Hektik durch Standbilder und langsame Kamerafahrten etwas entschärft. Rasante Filmschnitte um Fechtende gab es nicht. Es wurde auf bewährte Methoden gesetzt und eigentlich nur die vorkommenden Zombies per Computer und nach Vorlage der Armee der Finsternis animiert. Diese einzige Neuerung für das Piratengenre mag ja für Fans interessant sein, aber die Filmtricks für die Mondscheinszenen blieben ziemlich müde. Die Untoten waren nämlich nur im Mondlichte als Zombies erkennbar. Nun, was hat es mit diesen Zombies auf sich und worum geht es eigentlich bei Fluch der Karibik.

   
       
    Die Vorlage für die Handlung bot ein Themenpark aus Disneyland. Die Besatzung des Piratenschiffes Black Pearl liegt unter einem Fluch der Azteken. Gegen die Anstrengungen der untoten Piraten, den Fluch zu lösen, stehen die Liebesinteressen von Elisabeth Swarn und Will Turner sowie der Rachedurst des ehemaligen Piratenkapitäns Jack Sparrow gegen den Meuterer und jetzigen Kapitän Barbossa. Alle erreichen ihr Ziel, wenn auch über Umwege und durch einen wenig stringenten Handlungsverlauf. Nichts ist vorhersehbar! Das hat einiges für sich und sorgt vor allem für Spannung und Kurzweil. Zentral im Handlungsverlauf ist die Intrige, die sehr gut mit dem Piratenkodex harmoniert. Hier wurde z.B. konsequent Komik erzeugt durch die Verhandlungen, deren ungenaue Ergebnisse jeweils unvorhergesehen erfüllt wurden. (z.B. wird die Freiheit von Miss Swarn erhandelt, Barbossa behält sich aber vor, den Zeitpunkt zu bestimmen - sie wird auf einer Insel ausgesetzt) Wie sich hier schon andeutet, fiel der Umstand, dass die Kampfszenen relativ blutarm ausfielen, positiv auf. Es gab nur in Schlüsselszenen Blut zu sehen. Die Wirkung war dementsprechend grandios. Eine Schlüsselszene ist sicher die, den Fluch der Azteken durch ein Medaillon und das Blut des Diebs zu lösen. Das war sehr sparsam und eindrucksvoll. Die zweite Blutszene zeigte den Augenblick des Sterbens: Gleichzeitig erreicht den untoten Captain Barbossa die Lösung des Fluchs, die ihn wieder lebendig macht und die tödliche Kugel. Er fühlt sich als Mensch und kann wieder genießen, aber er fühlt nur wie er stirbt - fraglos einer der größten Augenblicke des Films. Als Untoter hat man zwar den Vorteil, unsterblich zu sein; allerdings kann man diese Unsterblichkeit nicht genießen; man kann eigentlich gar nicht genießen, weshalb auch alle weltlichen Güter sinnlos und unbefriedigend bleiben. Auch wenn man alle Zeit der Welt zur Verfügung hat, hat man keine Freiheit der Entscheidung - man ist in seinem Durst gefangen: "Was nützt der Hunger, der nicht gestillt werden kann?!" Trotzdem geht es dem Film nicht um sinnlose Triebbefriedigung in begrenzter Zeit verstanden als Freiheit, was solche Piratenklischees wie: "Nimm dir soviel du kannst, und gib nichts zurück!" möglicherweise erwarten lassen. Es gibt nämlich angesichts des sich überschlagenden Handlungsverlaufs immer die richtigen und die verpassten Augenblicke. Man muss auf die Zeichen achten, vor allem wenn man mit unehrlichen Leuten Umgang hat. Die Ehrlichen betrügen einen; sie betrügen einen um unvorhersehbare Momente - die Unehrlichen bringen erst Pfiff ins Leben, ließ Captain Sparrow verlauten. Hier sieht man, wie der Film mit den Klischees spielt und sie mehr oder weniger parodiert. Der Originaltitel des Films lässt nämlich gleich zwei Klischees erwarten: Piraten und Karibik (Pirates of the Caribbean). Beide werden reichlich ausgekostet - sie werden zum Spielball einer Suche nach Freiheit - und einer einzigen Frage des Films. Diese Frage begegnet uns in den tollsten Varianten und eben immer verpackt in bunte Klischees: Was nützt einem die Schönheit der Karibikinsel, wenn man selbige nicht verlassen kann? Was nützt einem ein ewiges Leben wenn man nichts spüren kann? Was nützt einem der erfolgreiche Bräutigam, wenn man ihn nicht lieben kann? Was nützt einem ein attraktives Korsett, wenn man nicht atmen kann? Was nützt einem der Apfel, den man nicht schmecken kann? Was nützt einem ein Kompass der nach Norden zeigt, wenn man nicht nach Norden will? usw. - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
       

Das sinnvollste Spiel mit den Klischees, was leider auch das Leben und das Spiel mit dem Leben nur als Spiel erscheinen ließ, war die Betrachtung des Piratenkodex' nur als Richtlinie. Die vermeintliche Ehre des Piraten war eine sehr bekannte: wenn einer zurückbleibt: zurücklassen! Im Lichte der Aufweichung dieses Kodex' sowie in Anbetracht der tantalischen Piratenqualen hob sich das Klischee vom rücksichtslosen Piraten genauso auf, wie das des Helden/Robin Hood der Meere. Das war im Übrigen die große Leistung von Caiptan John Swallow alias Johnny Depp. Leider hatte die Figur des Will Turner dieses Heldenbild noch inne. Er war eben doch kein rechter Outlaw, hatte ja auch nur zur Hälfte Piratenblut in seinen Adern. Aber das gehört ja auch zum richtigen Piratenfilm: ein Guter. Dieser Gute war nun ein halber Böser, also wurde auch hier die schematische Trennung etwas aufgehoben - überhaupt ein Charakteristikum des Films: der Böse ist nicht immer der Böse, der Lebende nicht immer der Lebende, der Tote nicht immer der Tote und der Ehrliche nicht immer der Ehrliche. Da stört dann auch nicht mehr die schwergewichtige Promotion und der Hollywoodstil, denn der Dumme ist nicht immer der Dumme…

   
       
       
     
© by MaW, 11. September 2003