REZENSION
                             
       

Materialisierte Sphäre

Das Collegium Novum Zürich spielt Komponistinnen auf dem 5. Ultraschall-Festival -- ein Bericht von MaWozniak

   
       
    Mit fünfminütiger Verspätung begann das Konzert des Ultraschall-Festivals am 21. Januar 2004 im fast ausverkauften Kleinen Sendesaal im Haus des Rundfunks Berlin. Innerhalb der obligatorischen Programmänderung musste am heutigen Abend erstmals ein Stück ganz gestrichen werden, wofür keine Gründe genannt wurden. Von den Interpreten, dem 1993 gegründeten Collegium Novum Zürich, war aber laut Internet (22. Januar 2004: http://www.collegium-novum.ch/21_weitere_konzerte.html) das zweite Neuwirthstück gar nicht in der Programmplanung. Somit begann der Abend, der unter dem programmatischen Motto Triage suffisant stand und ausschließlich Komponistinnen berücksichtigte, mit Chaya Czernowins Kammermusikstück Die Kreuzung von 1994 für Akkordeon, Altsaxophon und Kontrabass.
       

Die ungewöhnliche Instrumentenzusammenstellung blieb nun ebenso abstrakt, wie der Titel versprach: die Instrumente waren bemüht, nicht charakteristisch zu klingen, sondern völlig andere Rollen anzunehmen. So übernahm der Kontrabass von Anfang an perkussive Funktion, welcher sich oftmals auch das Saxophon anschloss. Hier wurden durch kurze Luftstöße und obligatorisches Hauchen ebenfalls perkussive Klänge erzeugt. Die eigentliche Stärke des Saxophons lag aber auf seiner Tendenz zum Klarinettenklang, was als Tonhöhenmaximum hohe Anforderungen ans Instrument stellte. Das Akkordeon nun mit seinen eher verwaschenen Tönen war um besondere Klarheit bemüht, die teilweise sogar Orgelklängen entsprach. Das 10-minütige Stück hatte etwas insektenartiges und jazzmäßiges. Es bestätigte die Ausgefallenheit, Klarheit und Dynamik von Czernowins Kompositionen.

   
       
    An zweiter Stelle stand Olga Neuwirths Spleen II von 1999 für verstärkte Kontrabassflöte. Die anfänglichen Didgeridooanklänge wirkten sowohl durch die Verstärkung als auch durch das Spiel manchmal verzerrt. Das Rauschen und das Luftholen waren deutlich zu hören, wirkten aber nicht störend. Vielmehr ging es gerade um die Mundhöhlenklänge, die von Schmalz- und Schmatzgeräuschen, bis hin zu Summen, Brummen, Zähneschlagen und Sprechen alles beinhalteten. Den Höhepunkt des Stückes stellte der Part dar, bei welchem Raubtiergeräusche nachgeahmt wurden, immer verstärkt durch die riesige Flöte und durch die Mikrophone. Am ausgefallensten waren die Klänge der Ventile, die teilweise wie Saiten wirkten. Ein interessanter "Spleen".
       

Es folgte der Höhepunkt des Abends -- die sprunghafte erweiterung des wortschatzes von Annette Schmucki. Dieses Stück von 2000/01 für Sprecher (Hartmut Andres), Akkordeon, Posaune und Schlagzeug ging der Frage nach, aus welchem Material akustische Klänge, speziell, wie sich Sprache materialisiert. Dieser Frage wurde anfangs parodistisch begegnet, indem die Musiker durch den Raum gingen, rhythmische Schritte vollführten, und schon das ergänzende Musikkonzept von aufgeteilten Rollen, die wie ein Ball zwischen ihnen hin- und hergeworfen wurde, andeuteten. Im ¾-Takt wurden folkloristische Traditionen mit absurden, von den Lauten [sch] und [r] ausgehenden Sprachassoziationen kontrastiert. Der zweite Teil intensivierte die Beschäftigung mit der fundamentalen Basis akustischer Produktion und ätherischer Ereignisse -- dem Atmen. Dieses wurde sowohl von den einzelnen Musikern verbal wie auch immer durch die Instrumente verdeutlicht. Am auffälligsten wirkte dabei natürlich die Posaune, die auch jeweils Befehle des Sprechers ausführte, bzw. vorwegnahm (z.B. "Flatterzunge!"). Das Akkordeon konnte hier besonders glänzen, es suggerierte, dass es ein Blasinstrument sei. Im weiteren Verlaufe behandelten die Inhalte der gesprochenen Worte immer dekonstruktivistischer die Frage nach der Materialisierung akustischer Ereignisse. Das Schlagzeug vollführte zwischenzeitlich einen kleinen klaren Fusionrhythmus, ansonsten war es sehr sparsam aufgeteilt auf alle perkussiven Elemente des Instruments. Teilweise gab es seine Rolle als Rhythmusinstrument auch an die Posaune ab, die klare, kurze und saubere Einzeltöne rhythmisch strukturierte. Nachdem sich alle sprachlichen Inhalte aufgelöste hatten, setzten die Instrumente aus, und mit einem angedeuteten, aber nicht lange ausgeführten Drumsolo klang das Stück nach ca. 30 Minuten aus.

   
       
    Von der anwesenden Komponistin Chaya Czernowin erklang daraufhin die zweite Komposition, Ina für Bassflöte und Tonband von 1988. Das Konzept sah das Tape als Echo vor, wobei hier ein doppeltes Echo zu hören war, welches nur scheinbar die gespielten Flötenläufe übernahm. Dabei verfremdete sich der Flötenton entweder zu einem obertonreichen, chorartigem Klang oder aber er erklang im reziproken Tonhöhenverhältnis der Liveflöte und des Tonbandechos. Auch dieses Stück war in zwei Teile gegliedert, die durch rhythmische Figuren der solo spielenden Liveflöte unterbrochen wurden.
       

Den Abschluss bildete ein weiteres Stück von Olga Neuwirth !?dialogues suffisants!? Portrait einer Komponistin als junger Affe I von 1991/92 für Violoncello, Schlagzeug, Tonband und Video. Die Besonderheit war dabei die räumliche Trennung der Instrumentalisten und ihre gleichzeitige Verdopplung durch das Tonband. Die Cellistin trat als Einzige Live vor das Publikum, der Perkussionist spielte eine Liveübertragung in einem Studioraum. Über die Boxen wurde nun sowohl die Perkussion als auch die zweite Perkussionslinie und die zweite Cellolinie übertragen. Dabei konnte man das Spiel des Perkussionisten auf einer separaten Leinwand verfolgen. Das Video auf der zweiten Leinwand gab das Konzept vor, was vor allem auf die Wahrnehmung gerichtet war. Bewegliche Bilder benötigen eine Frequenz von mindestens 24 Bildern pro Sekunden. Bei akustischen Sinuswellen werden ca. 50 in einer Sekunde benötigt. Das Video nun beschränkte sich auf 5 Bilder pro Sekunden und die Musik wollte ebenfalls sehr reduziert klingen. Das Schlagzeug war recht unstrukturiert eingesetzt und fungierte als ein Teil der Perkussion. Den zweiten übernahm nicht nur das zweite Tonbandschlagzeug, sondern auch die Cellistin, die im Übrigen auch zwei Cellos bespielte (allerdings nacheinander). So gab es sparsame, abstrakte Töne über Pizzicati und Aufschlagen des Bogens auf die Saiten. Die Perkussion benutzte Gongs und Glockenspiele, sowie Chimes, Bongos, Bass- und Snaredrum, Triangle u.ä. Der Film nun handelte inhaltlich von einem exklusiven Hotel, welches im Tanzsaal ein Fest veranstaltet, auf dem eine Dixielandband spielt. Hier gab es eine Zeitlupenkamerafahrt auf den Schlagzeuger, der, wie es oftmals üblich war, schwarz angemalt war. Als nur noch seine Augen zu sehen waren, blinzelte er zwei Mal und das Stück war zu Ende.

   
       
    Leider sind ohne den Katalog die meisten Interpreten unbekannterweise nicht zu rekonstruieren. Deshalb werden im folgenden alle Mitglieder des Collegiums genannt: Philippe Racine, Matthias Ziegler, Flöte
Elmar Schmid, Klarinette
Matthias Arter, Oboe
Stefan Buri, Fagott
Rico Gubler, Saxophon
Jean-François Michel, Jörg Schneider, Trompete
Olivier Darbellay, Thomas Müller, Horn
Ulrich Eichenberger, Posaune
Christoph Brunner, Martin Lorenz, Jacqueline Ott, Schlagzeug
Urs Egli, Christoph Keller, Klavier
Xenia Schindler, Harfe
Urs Walker, Bettina Boller, Urs Bumbacher, Rahel Cunz, Violine
Jürg Dähler, Hans-Christian Sarnau, Viola
Imke Frank, Martina Schucan, Walter Grimmer, Violoncello
Andreas Cincera, Käthi Steuri, Kontrabass .
       
     
© by MaW, 21. Januar 2004