REZENSION
       

Was der Beifall verrät

Beim Konzert Linie und Klangfeld I vom modern art sextet im Konzerthaus begeisterte am 24.09.2003 der jüngste Komponist das Publikum - ein Konzertbesuch mit MaW (d.i. Tissi)

   
       
    In bewährtem Stil veranstaltet das Konzerthaus immer wieder Konzertreihen zur Neuen Musik, wo man einem guten Mix aus bekannten Komponisten und Uraufführungen, von professionellen Ensembles interpretiert, beiwohnen kann. Unter dem Titel Linie und Klangfeld standen am Mittwoch, dem 24. September 2003, sechs kammermusikalische Kompositionen auf dem Programm. Der Titel deutet das übergreifende Kompositionskonzept schon an: hier bewegen sich die Stücke zwischen linearen, thematisch-prozessualen Strukturen und harmonischen Komplexen, in denen die Einzelstimmen zu einer großflächigen Tektonik verwoben werden (Melodie vs. Harmonie). Dieses Prinzip war in allen Kompositionen nachvollziehbar.
       

Der Programmhöhepunkt sollte eigentlich die Uraufführung einer Komposition von 2000 namens Transitions von John Palmer für Klavier, Klarinette, Violine und Cello darstellen. Die drei auszumachenden Teile der Komposition grenzten sich voneinander durch die Gewichtung von Linie und Klangfeld ab. Der erste Teil erzeugte Vorstellungen von riesigen Klanggebäuden, wobei die einzelnen Instrumente nicht voneinander unterscheidbar sein sollten. Teilweise unisono oder permutierend ergänzten sich die Instrumente und brachten so ihre besondere Nähe trotz der spieltechnischen Ferne zum Ausdruck. Im zweiten Teil dominierten die Soli, die vom Klavier begonnen wurden, über die Klarinette und Violine zum Cello führten. Diese waren sehr still und von einer jeweils eigenen Dynamik geprägt. Während der Soli setzten die anderen Instrumente aus. Im dritten Teil nun waren Glissandi und Vierteltöne zu hören. Diese wurden durch heftige Wechsel von einem zum anderen Instrument deutlich, wobei hier im Gegensatz zum Anfang genau die Unterschiede der Instrumente deutlich gemacht werden sollten. Nach der halbstündigen Aufführung konnte der Komponist selbst den Beifall entgegennehmen. In typischer Manier und mit dem obligatorischen Schal bedankte er sich bei den Musikern für die gelungene Aufführung. Als geplanter Programmhöhepunkt wurde John Palmers neues Stück erst an vierter Stelle aufgeführt.

   
       
    Das Konzert begann mit Suguru Gobos Giseion to Gonsei (1994), welches auf der japanischen Haiku-Tradition basiert und besonderen Wert auf den Raumklang legt. Auf der Bühne spielten Violine (Links), Cello (Rechts) und Klavier (Mitte). Mittig des Parketts standen an der linken Seite die Klarinette und an der rechten Seite die Flöte. Die Bratsche tönte von ganz hinten. Der Effekt war sehr beeindruckend, vor allem auch deshalb, weil die Komposition die Instrumente abwechselnd berücksichtigte und somit eine doppelt-dynamische Klangbewegung stattfinden konnte. Die ca. achtminütige Komposition, bei der das Klavier dominierte, ließ abwechselnd dynamische Stakkati von den Instrumenten erklingen. Der Titel bedeutet "Onomatopöie und Montage", was durch die beschriebenen Klänge durchaus als direkte Umsetzung zu verstehen war. Auch war eine Strukturierung in kleinen Einheiten nachvollziehbar, hat doch der Komponist nach eigener Aussage "ein Haiku mit dem Material der Klänge" geschrieben.
       

Direkt vor der Palmer-Komposition wurde Morton Feldmans Four Instruments aufgeführt, eine Komposition von 1975 für Klavier, Violine, Viola und Cello. Die Besonderheit bestand in der Feldmaneigenen minimalen Lautstärke, was sich z.B. in den unisono spielenden Streichern ausdrückte, die einen Ton über längere Zeit hielten, ohne dass man die Instrumente auseinander halten konnte. Die Ensemblemitglieder beeindruckten bei diesen Anforderungen durchaus. Das Klavier war sparsam eingesetzt und überhaupt dominierten ruhige Klänge im Wechsel mit Stille, ohne eine große Dynamik zu erfordern oder wahrnehmbar zu machen.

   
       
    Nach der Pause erklang vom Sextett eine zwanzigminütige Komposition von dem ebenfalls anwesenden Oliver Korte, ‚rien nul' Musik für Samuel Beckett von 2002. Dem in Berlin lebenden und dozierenden Korte ging es um die Vergänglichkeit der Klänge. Zwei Sätze wurden jeweils von den Streichern mit Konsonanten untermalt. Gemeinsam mit den Ventilen der Blasinstrumente ergab sich somit ein perkussiver Geräuscheteppich, der sich gut mit den minimalen, tritonalen Instrumentklängen ergänzte und von Pausen unterbrochen wurde. Flöte und Klarinette setzten Bassinstrumente ein und die Basssaiten des begleitenden Klaviers wurde beim Spielen präpariert, was zu faszinierenden Ergebnissen führte. Als Abschluss kam das Stück la barque mystique (1993) von Tristan Murail für Flöte, Klarinette, Klavier, Violine und Violoncello zur Aufführung. In den zwanzig Minuten dauernden drei Sätzen zeigten alle Instrumente viel Dynamik, allerdings dominierte die Klangfeldebene, wie man es von Murail gewohnt ist. Vor allem die Parameter Intervallik, Harmonik und Tempi forderten den Interpreten einiges ab.
       

Den heimlichen Höhepunkt des Konzertes bildete jedoch die an zweiter Stelle aufgeführte Komposition Fünf Bruchstücke für Klarinette und Klavier (1997) vom Henze- und Rihmschüler Jörg Widmann. Jedes Bruchstück dauerte zwischen zwei und fünf Minuten, unterschied sich aber durch einen jeweils besonderen Ausdruck von den anderen, obschon sich immer ein Ganzes andeutete und Affinitäten durchaus hörbar waren. Das erste ließ mehrfach einen vom Klavier erzeugten Ton zu einem dauernden Klarinettenton werden. Dies wechselt im zweiten Bruchstück, allerdings mit dem gleichen sparsamen Klaviereinsatz, zu Tonleitern auf der Klarinette. Das dritte Bruchstück erweiterte diese Idee und hob das Klavier etwas hervor. Im vierten nun steigerte sich dieser Ansatz zu fast jazziger, improvisationsähnlicher Spielweise sowohl bei Klarinette als auch bei Klavier. Das letzte Bruchstück möchte man fast als tremolierend bezeichnen. Insgesamt begeisterte das Klavier durch imitierte Harfenklänge und direktes Spiel an den Saiten. Das Publikum honorierte diese Komposition und natürlich besonders die instrumentale Virtuosität, die hier nicht hinter den Erfordernissen zurückstand.

   
       
    Alles in allem leisteten die Musiker vom Modern Art Sextet hier eine ausgezeichnete Vortragskunst vor dem nicht einmal halbgefüllten kleinen Saal des Konzerthauses. Das 1994 gegründete Sextet setzt sich zusammen aus Klaus Schöpp (Flöte), Unolf Wäntig (Klarinette), Theodor Flindell (Violine), Jean-Claude Velin (Viola), Matias de Oliveira Pinto (Violoncello) und Yoriko Ikeya (Klavier). Der zweite Teil Linie und Klangfeld II findet am Montag, dem 15. Dezember 2003, statt.
       
     
© by MaW, 25. September 2003.