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Warum Fragen manchmal keine Antworten brauchen
Franzobel: Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik, rezensiert von MaWozniak
am 30. Oktober 2005
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Der neue Roman Franzobels
Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik (2005) könnte treffender
Milgram oder Die sieben Todsünden heißen, dann wäre die Allegorie perfekt.
Franzobel holt hier zum großen Schlag aus und bemüht sich, diesmal die Phantasmagorien nicht
nur zum Spaß zu erdichten. Ist bisher natürlich jeder Roman des Österreichers auch
satirisch gewesen (z. B. Lusthaus von 2002), so erkennt der Leser mit dem jüngsten Text
einen neuen Ton. Die zahlreichen Geschehnisse werden neuerdings nicht nur kommentiert, sie bemühen
sich in ihrer allegorischen Überhöhung auch um Klarheit und Verständlichkeit. Das gab es
bisher nicht. Endlich meint man zu wissen, worum es Franzobel geht, aber weiß man es denn
wirklich?
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Eine verzwickte Familiensaga
à la Doderer ist mit einer lächerlichen Rahmenhandlung umgeben, die eine
retardierende Funktion hat und ganz im Sinne des Romans die Allegorie der Travestie
ist. Hierbei handelt es sich um den Schlüsselbegriff für den Roman, der im Text
als poetologische Reflexion mit sehr ernstem Ton und leider völlig ohne Ironie
vorgetragen wird (vgl. S. 632-641). Sonst dominiert der typische Ton eines Franzobel,
der wieder verrückte und unglaubliche Geschichten aus wahren Begebenheiten, die
damit natürlich travestiert und parodiert werden, extrahiert und um seine Hauptperson,
den Schelm und Gernegroß Oswald Mephistopheles Wuthenau gruppiert. Um diese Figur
versammelt er weitere Charaktere, die ganz in seinem Stil anfangs nichts miteinander zu
tun haben, im Laufe der Zeit aber unausweichliche Allianzen miteinander eingehen. Im Laufe
der Zeit ist gleichfalls wörtlich zu nehmen, breiten doch sieben Textteile mit insgesamt
61 Kapiteln mehr als 70 Jahre des 20. Jahrhunderts auf drei Kontinenten aus.
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Hauptschauplatz ist Argentinien, wo sich
eben nicht nur Nazis und Nazijäger tummeln, sondern wo genau die Frage, warum man jeweils
eins von beiden wird, behandelt wird. Hier verdeutlicht Franzobel ein sozialpsychologisches
Dilemma, das eben nach dem Modus des Seins in Abhängigkeit zur Umwelt fragt. Damit klärt
sich auch die Kapitelordnung unter die sieben Todsünden, die aus theologischer Sicht selbst gar
keine Sünden sind, sondern die Charaktereigenschaften von Personen beschreiben. Die Frage, was
eine Sünde ist oder nicht, bleibt im Text offen, allerdings ist keine Handlung folgenlos, ist
jedes Handeln ein Fest der Steine und jeder Stein eine Sünde. Und trotzdem ist nicht allein der
Charakter für das Handeln verantwortlich, ist nicht jedes Handeln Sünde, sondern oftmals
scheint der Sünder Opfer eines Milgram-Experiments zu sein, welches die Travestie des Paradiesgartens
zu sein scheint. Beim Milgram-Experiment handelt es sich um einen fingierten Gewissenskonflikt, bei dem
Probanden andere Teilnehmer des Experiments auf Befehl hin bestrafen müssen und dabei gegen ihr
Gewissen handeln. Glücklicherweise ist diese Textdimension nicht ausgesprochen, sie klärt sich
aber von sich aus, was mit der Travestie ähnlich gewesen wäre. Franzobel sagt mit übertriebener
Deutlichkeit, dass das ganze Leben Travestie sei. Allerdings wird nicht etwas Echtes, Unverfälschtes, ein
Original oder so travestiert, sondern der Glaube an das Wahre und Echte. Das ist eine postmoderne These,
die leider in ihrer Art zu bemüht vorgetragen wird. Die Bemühungen um Verständlichkeit geben
dem Text etwas Dünkelhaftes, was ungewohnt ist und dem Text angesichts seiner modernen These nicht gut tut.
Warum sind Stellen, in denen es um politische Korrektheit geht, so deutlich? Warum wird nicht ironisiert
wie früher? Hier wird die Kunst letztendlich genau so, wie sie Franzobel entlarvt: hässlich. Er
travestiert die Travestie - und wird bitter.
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Allerdings steigert sich dadurch die politische
Brisanz und auch der Unterhaltungwert könnte für ein größeres Publikum interessant
werden. Damit würde auch die Adornosche These vom falschen Wahren zu der ihr gebührenden
Ehre kommen. Worum geht es genau? O.M. Wuthenau ist ein fettleibiger NAPOLA-Zögling, der bei
fremden Eltern aufwuchs und zufällig nach Argentinien gelangt. Dort wird er des Mordes an
Familienangehörigen beschuldigt und von dem unfähigen Inspektor Austin Seber eingesperrt.
In seiner Zelle lernt er den Seher Enrique Uriburu und den späteren Heiler Diego Ramelow kennen
und ihm wird eine Karriere und eine Frau prophezeit. Die Prophezeiung tritt durch eigene Bemühungen
ein und Wuthenau wird Ingenieur bei Schwammenschneider, heiratet dessen Tochter Diotima, genannt Gucki.
Er lernt Adolf Eichmann kennen, trifft seinen NAPOLA-Kumpel Kaysalek wieder und alles kulminiert am
Valentinstag 1959. Gemeinsam mit dem Lidice-Überlebenden Wassertrüdinger, der österreichischen
Hure Madlen - die später zur Jemanja-Priesterin wird - den Schwammenschneiders, den Ramelows, Enrique,
Eichmann sowie dem Inspektor Seber feiert Wuthenau eine Orgie: das so genannte Fest der Steine. Die
Gemeinschaft, die sich während dieser Orgie durch einen gemeinsamen Mord verschwört, wird auf
ihrem weiteren Lebensweg detailreich und amüsant begleitet. Immer bleiben die Geschehnisse auf Messers
Schneide; bleibt die Frage offen, ob jemand etwas aufgrund von Vorherbestimmung, Schicksal oder eigenem
Handeln erleidet. Oder anders gefragt: Inwieweit ist Handeln vorbestimmt? Das Amüsement folgt natürlich
vor allem aus den sexuellen Anspielungen, die weit unter die Gürtellinie zielen und gemeinsam mit der
Verdauung als starker Motor des Handelns bloßgestellt werden. Die Einzelerlebnisse sind detailreich und weniger bemüht,
sondern distanziert beschrieben, so dass außerhalb der Schlüsselszenen viel Zeit zum Schmunzeln bleibt.
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Nun zur Frage, in welcher Tradition
dieser Text steht. Man findet unzählige, auch direkt kommentierte intertextuelle
Bezüge. Schon allein dieser große Fundus lohnt die Lektüre. Angefangen bei
den biblischen Anspielungen, die mit Bertolt Brecht gewürzt werden, finden wir
romantische Spielereien mit z. B. Grimms Märchen oder Anspielungen an die klassische
Moderne mit Joyce oder Musil. Was Wuthenau als Schelm angeht, so kommen die typischen
franzobelschen Streiche etwas zu kurz im Verhältnis zur Länge des Textes. Trotzdem
ist Wuthenau ein Schelm, wenn auch einer neuen Stils. Er ist ein postmoderner Schwejk, der
nicht scheinbar dumme, sondern scheinbar politisch unkorrekte Fragen stellt.
Und damit steht das Fest der Steine vielen Befindlichkeitsromanen der Gegenwartsliteratur
diametral entgegen. Dadurch könnte es gelingen, den Text als Meilenstein in Franzobels
Schaffen zu lesen, wären da nicht diese Bemühungen. Aber darüber mögen andere
Leser urteilen..
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