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Gewissenserforschung
ohne Folgen
Eine ärgerliche
Schillerinszenierung an der Schaubühne Berlin,
erlebt von MaWozniak
am 04. Mai 2006
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Die jüngste
Inszenierung von Friedrich Schillers Maria Stuart an der Schaubühne
Berlin durch Luk Perceval passt beinahe in den derzeit aktuellen
Theaterstreit. Auf den ersten Blick könnte man die Aufführung
zum Schrei- und Ekeltheater rechnen, dessen vordringliches Anliegen
das Aufstören und Unterlaufen von Sehgewohnheiten ist. Nur
leider stört die Inszenierung nicht auf: sie hat alles falsch
gemacht, was man falsch machen kann.
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Das Schöne
gibt es nicht mehr, das ist ein Argument gegen die Fraktion der
Werktreuen im Theaterstreit. Wer das Traditionelle, sprich die historische
Kulisse bevorzugt, handelt anachronistisch; man könnte sogar
sagen: fahrlässig. Luk Perceval hat zwar keine Anspielungen
innerhalb der Requisiten auf das Elisabethanische Zeitalter gegeben,
trotzdem hat er auf monumentale Effekte gesetzt, die das Publikum
auch völlig überwältigt haben. Eigentlich unverständlich,
denn es handelte sich um konventionellste Bühnenausstattung:
ein riesiger Balken, der die vielfältigsten Assoziationen hervorrief,
weil er für alles gut war; ein großes rotes Tuch, welches
am Ende über Maria zusammenschlägt, Bogenschützen
im Training; Tennis für Reiche - alles war vorhersehbar und
Schönheit nur äußerlich. Trotzdem genoss die Mehrzahl
der Zuschauer ein besonderes sinnliches Vergnügen, wie sich
mehrere Personen im Publikumsgespräch nach der Vorstellung
ausdrückten. Und dieses Erlebnis beruhte definitiv nicht auf
Schillers Sprache, denn diese musste von den Schauspielern verteidigt
werden.
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Hier nun fragt
man sich, worum es beim Theaterbesuch geht. Glaubt man dem Publikum,
scheint es ja wirklich nur um das sinnliche Erlebnis zu gehen, und
um die Verletzung von Sehgewohnheiten durch die obligatorischen
Nacktszenen, die anscheinend das einzig Aufstörende des Abends
waren. Aufstörend war aber stattdessen die fehlende Auseinandersetzung
mit dem Weiblichen und dem Tragischen. Schiller als Dramentheoretiker
und Bühnenpraktiker eine solche Ignoranz zukommen zu lassen,
macht deutlich, dass auch die Theaterleute keine Botschaft mehr
haben - sie wollen mit Theater nichts mehr bewirken. Und damit ist
es egal, welche Stücke sie spielen und welche Botschaft sie
haben - Hauptsache die Inszenierung ist "schön"!
Nur leider weiß keiner mehr was schön ist, genauso wie
keiner mehr weiß, was richtig und falsch ist. Damit ist es
letztendlich auch egal zu welcher Fraktion man im Theaterstreit
zählt, denn keine Seite kann Antwort liefern und die Stuart-Inszenierung
macht den Streit obsolet.
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Dementsprechend
hinterließ die Inszenierung den Zuschauer nicht nur ratlos,
sondern deutete die Intention des Stücks teilweise um. Das
Tragische ist so oder so schwer fassbar, aber hier ist die Vollendung
für Elisabeth, für den Egoismus, dargestellt, nicht für
Maria. Überhaupt sind die Charaktere nicht ernst genommen worden,
sondern, wie Perceval sagt, stellen zwei Pole einer Person dar,
die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sein soll. Diese
Gesellschaft besteht angeblich aus Jagenden und Gejagten. Nun stellt
sich aber die Frage: Warum hat man dann Maria nicht als altruistisch
dargestellt? Ist sie keine Perspektive, keine Hoffnung? Wahrscheinlich
hat man über dem zerrissenen Charakter, der zwischen Todesangst
und Psychose verortet wurde, die Hoffnung ganz vergessen.
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Es wurde aber
auch die Rolle beider Frauen in einer Männerwelt nicht thematisiert.
Ein positiver Zuschauerinnenkommentar meinte, die Schlussworte zeigen
einen typischen Mann, so etwas würden die Männer heute
immer noch machen. Ja, genau deswegen hat Schiller das Stück
auch geschrieben. Nur, warum waren die Frauen so schwach dargestellt,
obgleich sie doch zu ihren Waffen der Frau (die sie ja zu Genüge
einsetzen mussten) auch noch die legitime Macht hatten? Warum musste
sich Elisabeth wie ein Kind bevormunden lassen und hysterisch schreien
und Maria die Psychopathin mimen? Was macht die angebliche Überlegenheit
der Männer aus? Hätte man damit nicht mal arbeiten können?
Für Perceval war die Dreiecksbeziehung zwischen Maria, Elisabeth
und Leicester das Wichtigste, also die Liebe. Aber: die Königinnen
sind doch eben nicht zur freien Liebe legitimiert! Das Emanzipatorische
nur in diesem Punkt zu sehen, ist eine typische Sicht, die aber
das Stück nicht allein ausmacht. Natürlich steht die Liebe
für das Emanzipatorische (ein Paradox), aber woran leiden denn
die Frauen, wovon müssen sie sich denn emanzipieren? Ein gutes
Wort hat Perceval nun doch gesagt, dass nämlich den Menschen
das Gewissen vom Tier unterscheidet. Demnach muss das auch das tragische
Moment für Elisabeth sein, dass sie Maria tötet, weil
sie die Buhlerin, die Gejagte aus der Welt schaffen will (sie handelt
eben nicht aus Staatsräson), dass sie aber immer ihr Gewissen
mit sich herumtragen muss.
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Man kann nur
hoffen, dass die Eigenschaft zum schlechten Gewissen auch für
die Theatermacher gilt, und dass der Zuschauer als Voyeur ebenfalls
ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn er sich nur von "schönen
Bildern" überwältigen lässt. Aber wer mit Äußerlichkeiten
und Slapstick arbeitet bzw. damit zufrieden ist, dem scheint das
Tragische fern zu sein
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