REZENSION
       

"Ich will eine neue Kunst erfinden!"

Heinrich von Kleist und das Käthchen von Heilbronn am Deutschen Theater Berlin -- Ein Bericht von M. Wozniak

   
       
    Der Anspruch, vor allem auch des Deutschen Theaters Berlin, sich immer neu erfinden zu wollen, wird mit der neuen Inszenierung von Kleists Käthchen am Deutschen Theater -- gesehen am 07. November 2003 -- wieder einmal überdeutlich. "Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe" nennt sich "Ein großes historisches Ritterschauspiel" -- am Deutschen Theater ist es von Nicolas Stemann vor allem komisch interpretiert worden, übrigens mit ausschließlich parodistischen Ritterszenen. Diese eher spärlichen Rittereinsätze kontrastieren das ansonsten in heutiger Alltagskleidung vollführte Spiel, für das als Schlagworte neue Medien und Manipulation genannt werden müssen.
       

Die Handlung des Stücks ist überaus kompliziert und soll im Folgenden nur die reduzierte Fassung der Inszenierung wiedergeben: Nach dem Freispruch des Grafen Friedrich Wetter vom Strahl (Frank Seppeler) vom Vorwurf der Verführung des Käthchens (Inka Friedrich) vorm Femegericht befreit er Kunigunde von Thurneck (Aylin Esener), die aus Dank um seine Hand anhält. Der aus Eifersucht begonnene Krieg des Rheingrafen vom Stein (Michael Schweighöfer) gegen vom Strahl kostet Kunigunde das Schloss und Käthchen fast das Leben. Sie holt für Kunigunde ein unwichtiges Bild aus den Flammen und wird vom Cherub vorm Feuertod gerettet. Im Gottesgericht siegt vom Strahl über Käthchens Vater Theobald Friedeborn (Horst Lebinsky) und Käthchen wird vom Kaiser als uneheliches Kind anerkannt. Durch List wird Käthchen an den Altar geführt. (In weiteren Rollen: Christine Schorn als Gräfin Helena, Mutter vom Strahls, und Thomas Schmidt als Maximilian, Burggraf von Freiburg.)

   
       
    Die Handlung in diesem Sinne ist eigentlich kryptisch und unverständlich. Damit deutet sich wieder einmal an, dass der Zuschauer für eine Inszenierung am Deutschen Theater Berlin das Stück kennen muss, um der Aufführung folgen zu können. Für ihn ist es z.B. schwierig, die Eifersuchtskonflikte, die durch Kunigunde von Thurneck hervorgerufen werden nachzuvollziehen, geschweige denn, dass er sie in Beziehung zu Käthchens Liebe zum Grafen vom Strahl setzen kann. Teilweise wird versucht, mit Moderation Ordnung ins Chaos zu bringen. So werden einzelne Szenen mit Personen und Ort genau benannt. Allerdings ist das nicht konsequent umgesetzt worden, worunter neben dem Verständnis auch der Spannungsbogen leidet.
       

Die Figuren, die eigentlich Typisierungen darstellen -- eine gelungene Verfremdung durch Kleist -- sind in ihrer charakterlichen Anlage durchaus tief gezeichnet. Käthchen ist jedoch leider teilweise uminterpretiert. Ihre Unschuldigkeit ist völlig entsexualisiert, was sehr verwirrend wirkt. Gerade die ‚reine' Liebe auch in Bezug auf Sexualität unterscheidet sie ja von Kunigunde, die durch ihre ausschließliche sexuelle Hingabe die Eifersucht der Männer hervorruft. Charakteristisch sollte die Naivität sein, die leider ein gesundes Maß ab und zu überschritt, wodurch ihr absoluter Charakter an Format verliert und ihr unbedingtes Wissen wie eine Option der Partnerwahl aussieht. In diesem Sinne wirkt sie als angreifbares Gegenbild der alles -- u.a. auch die Zuschauer -- beherrschenden Kunigunde. Gelungen ist dagegen die Darstellung von Kunigunde selbst. Wie erwähnt erscheint diese einerseits als Gegenbild zu Käthchen und andererseits als mächtiger Animateur. Als Gegenbild Käthchens vereint sie alle Eigenschaften in sich, die Käthchen fehlen sollen, und bekommt ihren Charakter gerade durch ihre Beliebigkeit. Sie ist der Vamp, der alle Männer um den Finger wickelt. Diese Selbstdarstellung ist soweit gesteigert, dass sie als Animateur fungiert und neben den anderen Figuren (vom Strahl, Rheingraf, Burggraf) auch und vor allem die Zuschauer animiert und manipuliert. Das tut sie mit Hilfe eines Mikrofons und in direkter Konkurrenz zu Graf Wetter vom Strahl. Vom Strahl nun repräsentiert eigentlich den heutigen Menschen: er will alles ein bisschen. Er ist zwar selbstbewusst, aber auch sprunghaft. Vor allem sind seine Handlungen immer situationsabhängig und spontan. Er versucht beispielsweise die Zuschauer durch einen uminterpretierten Dialog (bei Kleist findet dieser Dialog zwischen Käthchen und vom Strahl statt) zum Mitspielen zu animieren (teilweise gelingt dies auch, allerdings nur scheinbar, wie sich später zeigte). Dabei fordert er absolutes Vertrauen und sogar Liebe. Dieses Vertrauen wird mit den gleichen Mitteln von Kunigunde unterlaufen, was eine bemerkenswerte Dynamik erzeugt und die Zuschauer gut mit einbezieht (bspw. schickt Kunigunde die Zuschauer in die Pause, obwohl keine Pause vorgesehen ist).

   
       
    Die Inszenierung beschränkt sich auf diese zentralen Figuren und gewichtet die Szenen neu, wobei einige nachrichtenartig vorgestellt werden, andere völlig unberücksichtigt bleiben. Reduzierbar ist die Inszenierungsintention auf die Darstellung des Konflikts zwischen absoluter und relativer Wahrheit und Liebe. Das Wissen, bei Kleist noch zentral, steht nicht so sehr im Vordergrund. Die Inszenierung setzt dementsprechend Schwerpunkte. Erstens sollte es komisch sein. Wie schon erwähnt werden dafür Ritterparodien (z.B. V.1.) und Szenenskizzen (u.a. II.4-6; III.2.) benutzt. Aber auch einzelne Szenen sind, wie von Kleist vorgesehen, durch Spiel äußerst komisch (so II.13. parallel mit III.1.; III.3. & 4). Zweitens wird Kleist konsequent als Medienereignis zelebriert. Wie schon erwähnt moderieren oder animieren vom Strahl und Kunigunde mit Hilfe eines Mikrofons (wobei sich hier auch der dritte Punkt der Intention Stemanns, die Aufdeckung von Manipulation, andeutet). Weiterhin werden nicht gespielte Szenen wie angedeutet von einer Person als Vortrag oder Präsentation mit Hilfe von Skizzen vorgestellt (in atemberaubender Geschwindigkeit). Die Gerichtsszene zwischen vom Strahl und Käthchen (I.2.) ist ein einziges Medienereignis mit der nach Wahrheit suchenden Kamera. Diese Szene, die schon vom Text her demütigend und kompromittierend ist, wird damit ziemlich eindringlich. An dieser Stelle ist der Einsatz der Kamera durchaus sinnvoll und gut.
       

Den dramatischen und ästhetischen Zenit erreicht die Inszenierung mit der Feuerprobe, welche im Publikum ausgetragen wird: Ein 25köpfiger Chor sitzt verteilt in den Zuschauerreihen und beginnt nach und nach in der Rolle des Cherubs zu singen, was etwas sehr befremdliches hat, da man glaubt, eine Verschwörung hätte den gesamten Zuschauerraum unterwandert. Diese spirituelle Anlage Kleists ist konsequent umgesetzt und erweitert worden -- ohne rationale Umdeutungen oder Reduktionen. Vielmehr ermöglicht die Vervielfachung der Einzelperson des Cherubs durch den großen Chor das unmittelbare Erleben der transzendenten Ebene der Feuerprobe -- zweifellos der bemerkenswerteste Teil der Inszenierung. Mit den Sängern, die nach dem dritten Akt den Saal räumen, verlassen nun leider auch die Inszenierung alle guten Geister und Cherubim, so dass das Stück in einem Chaos endet -- ein Wunder, dass Käthchen nicht in Ohnmacht fällt, wie es das Stück eigentlich vorsieht.

   
       
    Der Versuch, mit verstärktem Medieneinsatz dem Publikum die Manipulationskraft vorzuführen und dadurch die Medien kritisch zu reflektieren, ging also spätestens nach der Feuerprobe verloren, und blieb ausschließlich im Spiel stecken, eben weil die schon erreichte Zuschauermanipulation aufgeklärt wird und die Einführung eines Big-Brother-Kaisers ins Plakative abglitt -- der Höhepunkt der Plakativität, in die die Medienbenutzung umschlägt, und der absolute Schwachpunkt der Inszenierung ist die Darstellung des Kaisers als großer Lautsprecher. (Das ist im Übrigen nicht komisch sondern lächerlich!)
       

Fazit: Wieder einmal unternimmt das Deutsche Theater Berlin den hehren Versuch, einen Klassiker neu zu beleben. Das große Potential des Textes wird dabei nur leidlich ausgeschöpft und kann ausschließlich in der Feuerprobe wirklich überzeugen. Die Theaterpraxis und die moderne Umsetzung durch graue Komiktheorie beleben zu wollen (Big-Brother), wird aber letztendlich weder davon, noch von den gelungenen Szenenzusammenfassungen wettgemacht -- leider nur eingeschränkt empfehlenswert!

   
       
     
© by MaW, 08., 10., 16., 24. und 25. November 2003.