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Das Klavier
schulmeistert den neuen Menschen
Karlheinz Stockhausens
sämtliche Klavierstücke - Konzertreihe oder Symposion?
- Rezension von MaWozniak
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Am 11. September
2004 begann im Rahmen der Berliner Festspiele ein dreitägiger
Marathon mit allen Klavierstücken Karlheinz Stockhausens. Der
erste Abend füllte mehr als zwei Drittel des Hauses der Berliner
Festspiele: Stockhausen-Konzerte sind nach wie vor ein Ereignis.
Die Klavierstücke I-V und VII-IX, die zwischen 1952 und 1955
entstanden sind und jeweils zwischen 30 Sekunden und 15 Minuten
dauern, erklangen durch Benjamin Kobler. Das Stück X wurde
von Frank Gutschmidt interpretiert. Mit allen Stücken wurde
anschaulich in Stockhausens Konzept der Klaviermusik
eingeführt. Es standen zwei Gestaltungskriterien im Vordergrund. Auf
der visuellen Ebene betraf das einerseits die Gestik des Interpreten.
Das wurde besonders deutlich im 30-minütigen Klavierstück
Nr. X, welches expressiv vorgetragen wurde. Gutschmidt trug fingerlose
Handschuh und verband die Gestik mit der Dynamik des Stücks
und den Notwendigkeiten des Spiels. Die mathematisch aufzuschlüsselnden
Tonfolgen erforderten sehr oft das Spiel mit dem gesamten Unterarm.
Unregelmäßig angeordnete lange Pausen innerhalb des Stücks
erzeugten eine Spannung, die jeweils durch diese massiven Akkorde
aufgelöst wurden. Damit wäre das zweite zentrale Kriterium
erwähnt, die Pausen oder die Stille, die zentraler Bestandteil
jeden Stückes war. Sie führte zu Affekten, in denen man
die Struktur suchte, aber nur abstrakte Kontraste fand.
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Stockhausen
selbst komponierte die Stücke mit einer ausgreifenden Programmatik.
Der erste Punkt dieser Programmatik ist leider ein pädagogischer.
Bleibt man bei der Stille, so fordert Stockhausen, "im rechten
Augenblick zu schweigen", um in der Stille genauso Vielfältiges
zu erleben wie in Klängen -- John Cage lässt grüßen,
allerdings nur in der Programmatik. Der Kontrast zwischen Stille
und Klang war an den Klavierstücken -- hierbei vor allem wieder
an Nr. X -- deutlich spürbar und genügte als sinnliches
Erlebnis eigentlich völlig.
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Die Stücke
begannen mit dem ersten sehr ungewohnt und ausgesprochen strukturlos.
Gerade dieses nun scheint für Stockhausen der Schlüssel,
also das Klavier im Wortsinne zu sein. Er beschreibt für dieses
Stück, wie sich aus einer emotionalen Analyse des Spiels der
neue Mensch ausbildet. Die Musik sei "übermenschlich",
aber der neue Mensch darf sie nicht nur erleben, sondern "mitmachen".
Damit ist die Gestik gemeint. Erst im Klavierstück Nr. V und
den folgenden jedoch waren überhaupt kleine Strukturen erkennbar,
die eine gestische Wiederholung zugelassen hätte. Nr. VII beispielsweise
verzichtete gänzlich auf die Stille und führte einen endlosen
Ton durch das Stück. Die Tonhöhe und Lautstärke wechselten
dabei regelmäßig. Auch Nr. IX war überraschend.
Es erklang fast als Minimalstück. Es muss im Tempo 160 gespielt
werden, damit es "undefinierbar torkelt und sich schillernd
im Spektrum dreht". Durch das liegende Resonanzpedal wurde
das Stück kontinuierlich leiser. Dabei entsprachen die Zeitintervalle
der Takte der Skala des goldenen Schnitts.
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Im letzten Teil
des Abends erklang für ca. 30 Minuten der SONNTAGS-ABSCHIED (2001/2003), eine Bearbeitung
für Synthesizer von HOCH-ZEITEN für Chor aus SONNTAG aus
LICHT. Fünf Synthesizer sollten den Chorstimmen und verschiedenen
Sprachen entsprechen. Die Interpreten traten unter Berücksichtigung
der Farbkomposition des SONNTAGs aus LICHT auf, und zwar im türkisen,
orangen, schwarzen, grünen und blauen Hemd. Die
Komposition bot weniger als erwartet. Zwar konnten durch die Klangverteilung
im Raum beeindruckende Effekte erzeugt werden, was sich vor allem
bei den brillanten Klängen von Glocken und Klangschalen u.ä.
als überzeugend erwies. Allerdings blieben die sonstigen Synthesizerklänge
hinter ihren Möglichkeiten zurück. Vielleicht setzte der
Komponist auf unbearbeitete Klänge, allerdings dominierten
konventionelle Synthie-Sounds und vor allem die reinen Töne,
die in jedem Fall enttäuschen mussten. Hier spürte man
ganz deutlich die Stumpfheit und Leere der reinen Sinustöne,
denen jegliches Leben fehlte. Trotzdem muss dieses Stück als
eingängiger gelten als die Klavierstücke und es überzeugte
das Publikum durchaus. Allerdings stellt sich die Frage, ob die
Klavierkompositionen nicht in einem anderen Kontext als immer im
Stockhausen-Event aufgeführt werden sollten. Der dreitägige
Marathon erschien doch stark als musikgeschichtliches Symposion.
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