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Gebet mit
Augen und Ohren
Nach 25 Jahren
erklang erstmals wieder Stockhausens Inori in Berlin -- MaW
war am 31. Oktober 2003 dabei
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Das
im Rahmen der Berliner Festspiele am 31. Oktober und 01. November
2003 aufgeführte Stück Inori von Karlheinz Stockhausen
fordert als musikalisches Ereignis auch das Sehen. Gerade weil das
ein typisches Merkmal von Konzerten der Unterhaltungsmusik ist, drängt
Stockhausen eigentlich darauf, dass bei klassischen Konzerten das
Hören im Vordergrund stehe. Für Inori (jap. Gebet)
sollen jedoch konventionelle Vorstellungen eines Konzertes wahrscheinlich
nicht gelten. Vielleicht geht es gar nicht um die typische Rezeption
in einem Konzertrahmen und vielleicht sollte Inori programmatisch
als Gebet zelebriert sein. Darauf deutete jedoch nichts im Rahmen
der Aufführung hin. Weder sprach Stockhausen -- eigentlich wider
Erwarten -- Eröffnungsworte, noch waren "Jünger"
im Sinne von erkenntnishungrigen esoterischen Hörern auszumachen.
Stattdessen traf sich das gewohnte Publikum Neuer Musik. |
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Für gewöhnlich
lässt sich genanntes Publikum in drei Gruppen aufteilen: die
Experten, die Interessierten und die Unwissenden. Die beiden letzten
allerdings waren diesmal zahlreicher vertreten, weil nichts in der
Neuen Musik aus Deutschland so bekannt ist wie Stockhausens Name.
Damit ist nichts über die Kenntnis seiner Musik gesagt. Und
die ist wohl als eher gering einzuschätzen. Zudem ist Stockhausen
einer der Komponisten, deren Kompositionen als nicht besonders eingängig
gelten. Bei ihm handelt es sich aber auch um mehr, versteht er seine
Musik doch immer als ein Gesamtkunstwerk. Zugegeben, die Komposition
Inori ist eine der eingängigeren, trotzdem ist auch
hier Stockhausens Anspruch unverkennbar. Für die Aufführung
genügt nicht ein Dirigent, der ein Orchester leitet, Stockhausens
Werk erfordert immer auch einen Klangregisseur, dessen Rolle im
Allgemeinen er selbst einnimmt.
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Bevor
weiter auf die Aufführung eingegangen werden kann, muss noch
das Kapitel "Zuschauer" beendet werden. Spürbar war
also von Anfang an die Unwissenheit und Unbeholfenheit des Publikums.
Ebenso spürbar war, dass viele vermeintliche Zuhörer mehr
Wert darauf legten, gesehen zu werden. Im alten -- und keineswegs
attraktiven, bzw. geeigneten -- Saal in der Schaperstraße begrüßte
das Publikum die Musiker völlig unkontrolliert. Auch war die
Erwartungshaltung relativ hoch. Herr Stockhausen saß schon weit
vor Beginn recht grimmig an seinem Mischpult, von dem aus er seine
Klangregie vornehmen wollte. Dass einige Leute nicht wussten, was
sie überhaupt erwartete, bewiesen sie durch ihr demonstratives
Verlassen des Raumes während der Aufführung -- was nicht
nur den Künstlern gegenüber unhöflich war. |
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Wie schon erwähnt
war das aufgeführte Stück eigentlich recht eingängig.
Die Konzeption zielte auf eine musikalische und gestische Anbetung.
Angebetet wird HU, "der heiligste aller Töne". Er
ist "Ursprung und Ende aller Klänge, seien sie von Mensch,
Vogel, Getier oder Ding", und er wird durch eine dynamisch
strukturierte orchestrale Komposition und eine "Melodie"
der Gebärdensprache verdeutlicht. Dabei ist die rhythmisch
durch Wechsel von Pausen und kurzen, fast minimal anmutenden Klangereignissen
gekennzeichnete Musik auf einer einzigen Tonhöhe konzipiert.
Melodie ist in diesem Fall nicht wichtig und auch nicht wahrnehmbar.
Es dominiert eine ca. einminütige Ausgangsform, die im Verlauf
von fünf Intervallen stark variiert wird. Vornehmlich sind
Instrumentengruppen bestrebt, dem Zuhörer Unterschiede in der
Klangfarbe (und Klangdichte) nahezubringen. Als Hauptstrukturmerkmal
kommt wie schon erwähnt Rhythmus zum Einsatz, der das Stück
vor allem durch den Wechsel von Pause und Klang und durch Veränderung
der Lautstärke gliedert. Wie sich hier schon andeutet, werden
die Instrumente dabei durch den Klangregisseur in akustischer Hinsicht
verfremdet. Ihr natürlicher Klang bleibt zwar erhalten, nur
wird die Lautstärke, die Klangrichtung und die Brillanz verändert.
Die dadurch zusätzlich entstehende Dynamik ist das musikalische
Charakteristikum der Komposition.
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Das
visuelle Charakteristikum stellen 13 nummerierte Gebetsgesten verschiedener
Religionen dar, erweitert um zwei Schlussgesten, die der Partitur
als Stimme exakt zugeordnet werden. Diese Gesten wurden von einer
Frau (Kathinka Pasveer) und einem Mann (Alain Louafi) auf einem über
den Musikern installierten Podest ausgeführt, wobei die Komplexität
und Synchronizität mit der Musik durchaus beeindruckten. Allerdings
vollführten beide Tänzer die Gesten untereinander nicht
immer stimmig, was etwas unprofessionell wirkte, aber angesichts der
Länge der Komposition zu verschmerzen war. Synchronizität
mit der Musik bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass jedes musikalische
Intervall einer Gebetsgeste entspricht und auch "als solche empfunden
werden muss". Die Musik wurde also auch durch die Gesten strukturiert,
was wiederum Stockhausens Konzept eines Gesamtkunstwerkes bestätigt.
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Die Ausführung
war jedoch insgesamt etwas verwirrend, weil sich die Aufführungspraxis
von Stockhausens Forderung nach absolutem Hören ohne Einfluss
der anderen Sinnesorgane sehr unterschied. Die Masse der Reize überforderte
den Rezipienten völlig, so dass auch das "Muss" der
Empfindung dem Zuschauer unmöglich war. Das herausragendste
Klangereigniss waren die Klangschalen, die durch ihre Schwingungen
das größte mystische Potential und die meisten religiösen
Assoziationen entwickelten. Dazu gesellten sich komplexe perkussive
Klänge und im oben erwähnten Sinne verfremdete Streicher
und Bläser. Die Klangereignisse genügten eigentlich völlig
zur wahrnehmbaren Erfüllung -- die visuelle Erweiterung wirkte
eher als zusätzliche Spielerei. Noch befremdlicher als die
Gesten wirkte außerdem ein einzelner, von den Tänzern
ausgeführter Schrei, möglicherweise als Urlaut zu deuten.
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Trotzdem
muss dieses vor 30 Jahren komponierte Stück an dieser Stelle
als bemerkenswert bezeichnet werden, weil es vom akustischen Konzept
zu einem der leichtesten Stockhausens gehört. Die Berliner Festspiele
richteten nun zum 75. Geburtstag des Komponisten diese Aufführung
mit dem Radiokammerorchester Hilversum unter Peter Eötvös
aus und erreichten dabei auch ein relativ großes Publikum. Dass
Stockhausens Werk angesichts der unterschiedlichen Zuhörer die
rechte Würdigung versagt bleiben wird, tut jedoch weder seinem
Selbstverständnis noch seiner Bedeutung einen Abbruch. Immerhin
ist er einer der wenigen Komponisten für Neue Musik, deren Konzerte
gut besucht und deren Namen gut bekannt sind. (Stockhausens Texte
zur Musik sind im Stockhausen-Verlag in zehn Bänden zu beziehen.
Ein Kurzüberblick gibt es bei Dieter Schnebel: Anschläge-Ausschläge.
München: Hanser 1993.) |
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