REZENSION
                             
       

Schuster bleib bei deinen Leisten

Königreich der Himmel, rezensiert von MaWozniak am 19. April 2005

   
       
   

Der neue Ridley Scott-Film Königreich der Himmel ist eine fast bedingungslose Kapitulation. Mit seiner depressiven und symbolistischen Bildästhetik, den Versatzstücken aus dem Fantasy-Genre und trivialen Dialogen, die unmotiviert aneinandergereiht sind, will er ein neo-romantischer Ritterfilm sein, welcher aufwändig unterhält und politisch aufklärt. Er orientiert sich an Kriegsszenen à la Herr der Ringe, an Blutorgien asiatischer Filmtradition und versucht mit einer kitschigen Farb- und Musikgestaltung im Genre Ritterfilm einen neuen Standard zu setzen.

       

Was diese Standards und die Unterhaltung betrifft kann der Film selbst in den Actionszenen nicht überzeugen. Und die Verarbeitung des Stoffes mit einer politischen Intention gerät fast zum Politikum. Es stellt sich die Frage, ob der Film tatsächlich eine Lösung bieten will für politische, religiöse und kulturelle Konflikte? Er will, aber es gelingt ihm nicht. Um eine Auseinandersetzung geht es nicht wirklich. Dafür sind die Gegenwartsbezüge zu aufgesetzt und widersprechen der Handlung zu deutlich. Hier muss eine Alibifunktion für die Aktualisierung des historischen Stoffes unterstellt werden.

   
       
   

Der Film dürfte gar nicht erst versuchen, die Frage nach Recht und Unrecht im Nahostkonflikt zu beantworten, weil er ein Ritterfilm ist, ein Kreuzfahrerfilm. Der gegenwärtige Konflikt hat wenig mit der Kreuzzugsideologie zu tun. Hier wird ein Zusammenhang beschworen, Kontinuität suggeriert und mit scheinheiligem Versöhnlertum einiges durcheinander gebracht. In historisierender Sichtweise, stereotyper und plumper Handlungsführung und auffälliger Widersprüchlichkeit verschenkt der Film die Chance einer Auseinandersetzung mit der Kreuzfahrerideologie.

       

Die Widersprüche sind leider nicht nur in der Dramatisierung der historischen Fakten, den Charakteren und deren Handlungsmotivationen zu suchen, sondern vor allem in den Argumenten, mit denen operiert wird. Noch eklatanter ist aber der Widerspruch zwischen dem, was vorausgesetzt wird, und dem, was aufdringlich erklärt wird. Der Zuschauer weiß z. B. nicht, wer die bösen und die guten Ritter sind. Der Zuschauer weiß auch nicht, wer das ‚Volk' von Jerusalem ist, welches verteidigt werden muss. Der Zuschauer weiß nicht, was an Wohlstand und Reichtum soviel schlechter sein soll als an Religion, oder warum das Verteidigen des ‚Volkes' besser sein soll als das Verteidigen der eigenen Haut. Der Film suggeriert Ideologiefreiheit und beschwört große Begriffe wie Gewissen, Freiheit und Frieden. Die Begriffe erzeugen ausschließlich ein starkes Pathos, wie überhaupt die Bedeutung der Begriffe nicht groß genug sein kann, um das Pathos möglichst groß zu machen. Wirkliches Pathos kann aber nur in Figuren entstehen. Die Beschwörung der Begriffe ist daher unangebracht und muss oberflächlich bleiben.

   
       
   

Der Plot behauptet, der französische Schmied Balian gehe aus religiösen Motiven nach Jerusalem ("Werde ich in Jerusalem Vergebung meiner Sünden finden?"). Allerdings sind es pseudoreligiöse Motive, denn eigentlich bestimmt die Flucht und die Hoffnung auf eine verpasste Kindheit Balians Weg. Und so ist Balians erste Erkenntnis in Jerusalem, dass er seine Religion verloren hat, dass Gott ihn verlassen hat. Das kann als Motiv des Filmes gelten, da im Film für Spiritualität kein Platz ist. Gott spricht nicht zu Balian, also gibt es Gott nicht. Trost findet er in der Arbeit. Er verbrüdert sich mit dem einfachen Volk. Diesem, nicht einem weltlichen oder geistlichem Herrscher, hat er beim Ritterschlag Treue geschworen. Nur leider holt ihn die Herrschaft, verkörpert von der Prinzessin Sybilla, schnellstens ein und stellt ihn vor die Wahl, zum Preis eines Menschenlebens zu herrschen und zu lieben oder ohnmächtig zu bleiben. Damit konstruiert der Film einen zeittypischen Sachzwang, "ein kleines Übel für etwas wirklich Gutes". Es ist gleichermaßen erstaunlich und zweifelhaft, dass der Held Balian sich dagegen entscheidet. Das ist ein tragisches Ereignis und ein spannender Moment. Das hätte der Hauptkonflikt des Filmes bleiben müssen. Genau diese Entscheidung scheint Balian zum Helden zu machen. Durch seine Gewissensentscheidung vollzieht sich gleichsam Salahadins Schicksal, bei den Hörnern von Hattim gegen die Kreuzfahrer zu siegen und damit Jerusalem zu erobern. Diese Schlacht wird dramaturgisch ausgespart, um die Einnahme von Jerusalem als eigentlichen Höhepunkt zu inszenieren, und zwar als Zweikampf zwischen Salahadin und Balian. Dass Balian nun trotzdem in der Niederlage siegt, widerspricht der gesamten tragischen Anlage der Figur und ist nicht verständlich.

       

Balian verteidigt nämlich Jerusalem. Er kommt zu dieser Macht wie die Jungfrau zum Kind, tritt aber damit das Erbe seines Vaters und seines an Lepra gestorbenen Königs an. Er verteidigt an Jerusalem nicht die Idee, nicht das Königreich der Himmel und nicht die abendländische Kultur, wie man denken könnte. Er verteidigt die Bewohner von Jerusalem, die Nachgeborenen. Denn mit dem Konflikt will eigentlich keiner etwas zu tun haben. Es scheint gleichsam so, als ob mit Jerusalem keiner etwas zu tun haben will. Was Jerusalem nun eigentlich ist, artikuliert auf Balians Nachfrage der arabische Feldherr Salahadin: "Nichts! - Und alles!"

   
       
   

In der einfachen Konstruktion des Films braucht nur eins und eins zusammengenommen werden, dann hat man die Lösung: Verteidige das ‚Volk', damit das ‚Volk' verschont wird. Erhebe die Waffen für deine Familie, dann rettest du deine Familie - da haben wir es wieder, das Naturgesetz der Verteidigung von Heim und Herd. Balians Rechnung geht auf. Er motiviert seine Kämpfer durch diesen Aufruf und führt einen sauberen Krieg mit mittelalterlicher Hochtechnologie und GröFAZ-Attitüde. Salahadin lässt sich auf Friedensverhandlungen ein und zeigt humanistischen Großmut. Außerdem lernt man Salahadin als toleranten Kulturwahrer kennen, der im Gegensatz zu Balian Jerusalem im mittelalterlichen Status quo erhalten will. Er ist eben religiös gebunden. Balian würde Jerusalem lieber zerstören, um das Problem aus der Welt zu schaffen. .

       

Darin findet sich nur ein weiterer Widerspruch sowohl zur Kreuzzugsideologie als auch zum Ritterbild der Alten Welt. In der Figur des Balian wird das Ethos eines echten Ritters beschworen. Der Held ist scheinbar vollkommen integer. Nur entspricht er mit seiner Integrität nicht einem Ritter des 12., sondern einem Ritter des 21. Jahrhunderts. Denn was ist Balian für eine Figur, doch nur eine gebrochene, eine widersprüchliche, keine integere: Zuerst bringt sich seine Frau aus unerfindlichen Gründen selbst um. Dann bringt Balian einen Priester aus Rache um. Daraufhin missbraucht er einen Sarazenen für seine Interessen und spielt ihm den Gütigen vor. Dann reißt er Standesdünkel nieder. Danach vollzieht er Ehebruch mit der künftigen Königin von Jerusalem. Dann lässt er sich beleidigen, ohne Satisfaktion zu fordern. Auch schwört er dem König Treue und bleibt doch nur seinem Gewissen treu. Seine Gewissensentscheidungen sind zwar tragisch, aber gleichzeitig unglaubwürdig, weil sie idealistisch motiviert werden, wo keine Idee akzeptiert wird. Balian kapituliert vor dem Menschsein, der Geschichte und der Macht und siegt trotzdem. Sein Sieg, der in der Niederlage besteht, lässt aber auch keine pazifistische Deutung zu. Und selbst die Überwindung von kulturellen und religiösen Unterschieden wird nicht angestrebt, geschweige denn, dass sie erklärt werden. Statt dessen lautet die Botschaft: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Darauf hätte Ridley Scott hören sollen, dann wär Königreich der Himmel ein Ritterfilm geworden.

   
       
     
© by MaW, 17. Juni 2005