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"TIAN
XIA Alle unter dem Himmel"
Im höchsten
Ziel, dem Verzicht auf das Schwert, offenbart sich der wahre Held
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Zhang Yimous neuer Film HERO, rezensiert von MaW (d.i. Tissi)
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Der
Namenlose hat einen Auftrag. Diesen Auftrag verdankt er seinem Sieg
über drei Attentäter. So beginnt der chinesische Film über
die Geburt der Qin-Dynastie. Die Attentäter Weiter Himmel, Fliegender
Schnee und Zerbrochenes Schwert kämpften gegen den König
von Qin. Trotz ihrer Kampfkunst war es ihnen bisher nicht gelungen,
den König zu töten. Der unterste Beamte der Provinz Lang Meng,
der Namenlose, hat sich zehn Jahre im Schwertkampf geübt
und angeblich ist es ihm gelungen, alle drei Attentäter zu besiegen.
Bei der Dankesaudienz darf er sich dem König bis auf 10 Schritte
nähern und mit ihm trinken. Er soll berichten, wie er es geschafft
hat, die Kämpfer zu töten und der Namenlose erzählt:
Es sei ihm nicht durch kämpferische Überlegenheit gelungen,
berichtet er. Weiter Himmel konnte durch Geduld besiegt werden. Fliegender
Schnee und Zerbrochenes Schwert, zusammen untergetaucht in einer Kalligraphieschule,
sind vom Namenlosen durch verletzte Gefühle und Eifersucht gegeneinander
gehetzt worden. Im Ärger meuchelt Fliegender Schnee Zerbrochenes
Schwert und ist beim Kampf mit dem Namenlosen unkonzentriert, was
zu ihrer Niederlage führt. Der König zweifelt jedoch an
diesem Bericht und bezichtigt den Namenlosen der Kollaboration mit
den Attentätern. Er mutmaßt, dass der Namenlose alle drei
mit ihrem Einverständnis, der Sache wegen, getötet hat,
um somit Zugang zum König zu bekommen und sich ihm bis auf zehn
Schritt nähern zu können. Diese Version wird vom Namenlosen
unter Bewunderung der Menschenkenntnis des Königs bestätigt,
allerdings seien die Attentäter nicht getötet worden, sondern
durch seine Kampfkunst unverletzt geblieben. Der König erwartet
nun seinen Tod, da der Namenlose die Kunst zu Töten-auf-zehn-Schritt
beherrscht, der Namenlose zögert jedoch, weil Zerbrochenes Schwert
ihm zwei Schriftzeichen mit auf den Weg gegeben hat. Als jener seinerzeit
mit Fliegender Schnee die Gelegenheit des Königsmords hatte,
entschied er sich plötzlich anders und ist seither entschiedener
Gegner des Vernichtungswillens der Attentäter. Mit seinem Leben
versuchte er das neuerliche Attentat zu verhindern. Als das durch
die überlegene Kampfkunst des Namenlosen nicht verfängt,
bleibt als letzte Chance die Botschaft der zwei Schriftzeichen - sie
bedeuten: Alle unter dem Himmel (Tian Xia). In der Todeserwartung
erkennt der König zudem die Kalligraphie des Schwertzeichens
von Zerbrochenes Schwert: der Mensch und das Schwert müssen eine
Einheit bilden. Das höchste Ziel zum Wohl der Welt ist allerdings
der Verzicht auf das Schwert - der Kämpfer muss das Schwert aus
der Hand legen können. Aus dieser Erkenntnis und mit der Botschaft
von Zerbrochenes Schwert verzichtet der Namenlose auf den Königsmord,
so wie ehemals Zerbrochenes Schwert. Parallel dazu unterwirft sich
Zerbrochenes Schwert der Kampfkunst Fliegenden Schnees und stirbt.
Fliegender Schnee bringt sich in einer Art Vereinigung mit dem Todesstoß
für Zerbrochenes Schwert ebenfalls um. In Unterordnung unter
das Gesetz lässt der König den Namenlosen hinrichten. Mit
dem Staatsbegräbnis für einen Helden schließt der
Film. |
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Die Besonderheit
von Hero besteht, wie sich vielleicht schon angedeutet hat,
in der Erzähltechnik. Hier wird die immer gleiche Handlung
reflektierend aus verschiedenen Perspektiven mit verschiedenen Gewichtungen
erzählt. Diese Erzählweise hat etwas von Theaterdramatik.
Unwillkürlich muss man an Kurosawas Rashomon (1950)
denken, da in diesem Film der Plot mehrmals aus verschiedenen Perspektiven
erzählt wird. Und bei beiden bleibt die Wahrheit vage und relativiert
sich die historische Wirklichkeit.
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Neben
dem Bericht des Namenlosen wird noch die Version des Königs als
komplette Szenerie inszeniert. Daraufhin folgen Detailänderungen,
-erweiterungen oder -umdeutungen. Außergewöhnlich sind
in jedem Fall die Bilder. Als Erweiterung des Kammerspiels zwischen
dem König und dem Namenlosen, welches den Handlungsrahmen einer
filmischen Gegenwart bildet, werden die erzählten Ereignisse
auf anspruchsvolle und jeweils verschiedene Art und Weise visualisiert.
Die Choreographie lässt Tanztheater und Ballett anklingen. Die
Farbauswahl ist strukturierend und symbolisch (im Sinne chinesischer
Farbsymbolik z.B. weiß = Trauer) zu verstehen. Die Kulisse orientiert
sich an der Farbsymbolik und versucht immer die Extreme der Natur
mit dem Einzelnen zu kontrastieren. Kämpfe werden in Wüsten,
auf dem Wasser, im Herbstwald oder in der endlosen Palasthalle geführt.
Zusätzlich gibt es Massenszenen, die jeweils die Königsmacht
sichtbar und durch die Kraft der Pfeile der unzähligen Bogenschützen
auch spürbar machen. |
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Auch wenn Hero
aus der Produzentenwerkstatt von Tiger&Dragon kommt,
sind die Filme schwer vergleichbar. Tiger&Dragon hat
eine stringentere Handlung, die mehr als Kriminal- und Liebesgeschichte
angelegt ist. Als spirituell kann neben der Kampfkunst eigentlich
nur die Vollendung des verpassten Schicksals gelten. Hero
ist insgesamt spiritueller. Das rituelle Kämpfen, welches in
jedem Fall ehrenvoll für den Kämpfer ist, hat eine größere
Bedeutung als die Überlegenheit. Im Gegensatz zu Tiger&Dragon
ist die Dualität von Gut und Böse in Hero aufgehoben.
Auch eine Psychologisierung im Sinne der Tiger&Dragon-Sublimierung
ist vermieden worden, ebenso ein oberflächlicher Liebeskonflikt.
Problematisch wird Hero erst in der Interpretation als Identitätressource
Chinas. Insofern wird hier nämlich die Gerechtigkeit unabhängig
vom Einzelnen, und somit universell, gesehen. Die politische Frage
sowie die persönliche Rache wird angesichts einer größeren
Macht irrelevant. Diese Macht ist eben auch unabhängig von
einem Machthaber, sie ist universell und eher als idealistisch zu
sehen. Der Film Hero weist sich damit aber noch lange nicht
als ästhetische Innovation eines sozialistischen Films aus.
Vielmehr wird auf Ideologie vollkommen verzichtet und Zerbrochenes
Schwert ist in der Formulierung der Erkenntnis einer besseren Zukunft
zu zitieren: "Was ist das Leid des Einzelnen gegen das Leid
aller!?"
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Warum
nun Hero? Allein mit der englischen Etymologie kann der Titel nicht
abschließend erklärt werden. Denn wir finden ja sechs Protagonisten,
die allerdings nicht unmittelbar im Deutungszusammenhang des Titels
stehen können: insofern fällt die Deutung des Helden als
Hauptperson eines (literarischen) Werkes weg (auch wegen des fehlenden
Plurals). Die landläufige Bedeutung des Helden als eines sich
durch kühne Taten auszeichnenden Mannes und tapferen Kämpfers
reicht jedoch ebenfalls nicht aus. Unbedingt muss hier eine Erweiterung
im klassischen Sinne erfolgen: "Ein Held - Wer ist ein Held?
- [
] ein Held sei ein Mann, der höhere Güter kenne
als das Leben [
]" (Lessing, G. E.: Philotas. Leipzig: Reclam
1938, S. 14 [EA 1756?]). In eben diesem Sinne, das den Märtyrer
einschließt, sind wiederum doch alle Protagonisten des Films
zu fassen, weshalb sich der Bogen zum tragischen Helden, der seinem
Untergang entgegengeht, durchaus wieder schließt. Der Namenlose
ist somit in dreifachem Sinne ein Held: erstens natürlich als
Held der Handlung. Zweitens als tapferer Kämpfer und kühne
Taten vollbringender Mann und letztens indem er sein Leben geringer
achtet als den Tod. Wie schon erwähnt verlässt der Film
gerade hier den Rahmen ideologischer Interpretationen. Es gibt im
Finale keinen Hinweis darauf, dass einer der sterbenden Helden aufgrund
einer Idee sein Leben hingibt. Auch wenn dieses Finale nicht die alleinige
Lesart sein soll, ist sie in punkto Sterben völlig konsequent
und im poetischen Sinne tragisch - unpolitisch und ideologiefrei.
Auch in den Kampfszenen mit Weiter Himmel und Fliegender Schnee, wo
eine politische Absicht vermutet werden könnte, zerstört
der Namenlose diese Vereinnahmung durch die jeweilige Kampfeinleitung
- die bürgerliche' Pflicht wird zur persönlichen Auseinandersetzung
und somit allein den perfektionistischen Ansprüchen der Kampfkunst,
die wie die Musik nach Vollkommenheit strebt, unterworfen. Die Sterbeszenen
Zerbrochenen Schwertes und Leuchtenden Mondes sind meistenteils von
Eifersucht geprägt (es gibt drei Sterbeszenen Zerbrochenen Schwertes).
Nur der Tod des Namenlosen lässt sich nicht ganz schlüssig
aufklären. Hier soll auf verschiedene Lesarten verwiesen werden,
die ja als Strukturmerkmal überhaupt den Film zu einem künstlerischen
Meisterwerk machen. Eine Lesart wäre die des Märtyrers,
obwohl sie durch die fehlende Artikulation eines Glaubensbekenntnisses
des Namenlosen eher unwahrscheinlich ist. Die pragmatische historische
Lesart lässt die Allmacht des Gesetzes und die Hinrichtung als
Staatsräson plausibel erscheinen. Möglich wäre auch
eine antithetische Komposition zum Attentatsauftrag des Namenlosen,
obwohl dies eine Überinterpretation darstellt. Auch ist der Symbolismus
des Films aufs Äußerste zugespitzt: den tödlichen
Pfeilen erweist sich der Namenlose als so standhaft, dass seine Silhouette
wie der Schatten des Königs am Tor zur verbotenen Stadt erscheint
- eine dritte Lesart. Zudem ist hier eine Überkreuzung der Machtverhältnisse
konstruiert, die jegliche Vorhersehbarkeit Lügen straft: der
eigentliche Machthaber unterwirft sich der Beamtenschaft bzw. dem
Gesetz. Wie dem auch sei, das letzte Wort zum bisher erfolgreichsten
chinesischen Film ist wohl noch nicht gesprochen. Was ihn jedoch von
konventionellen Martial-Art-Filmen unterscheidet ist das künstlerische
Niveau, das den Film eben auch für Kampfkunstskeptiker unbedingt
empfehlenswert macht. |
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