REZENSION
                             
       

Tonbandspiegelungen mit Koryphäen

Ein Bericht vom Ultraschall-Festival am 17. Januar 2004 von MaWozniak

   
       
    Das Motto des Abends lautete Traum und Alptraum. Mit diesem Motto begann der Abend schon vor dem ersten Ton, da so traumhaft viele Leute gekommen waren, dass nach dem für die Sophiensæle typischen Alptraum des verspäteten Einlasses für manchen Zuschauer zusätzlich der Alptraum der Platzsuche begann: Mehr als 120 Personen waren gekommen, was für ein Konzert neuer Musik eher ungewöhnlich ist. Einerseits trägt sicher das Festival Ultraschall, mittlerweile eine 5jährige Institution, dazu bei, andererseits mag es auch an der Lokalität gelegen haben. Zentral ist natürlich das abwechslungsreiche Programm, welches Stücke berühmter Komponisten durch die Tonbandkonzeption verband, die von der Schola Heidelberg unter Leitung von Walter Nußbaum, Marc Reichow am Klavier und Roland Breitenfeld als Tonmeister vorgetragen wurden. Eine kurzfristige Änderung wurde vorgenommen, indem ein kurzes Vorstück von René Leibowitz ins Programm aufgenommen wurde. Hier war angeblich der Titel La notte ausschlaggebend, denn das Programmheft weist auf die Herkunft des Mottos Traum und Alptraum durch die Benennung der Stücke hin. Dem sollte man doch eher skeptisch gegenüber treten, da schon das erste Stück nicht unbedingt als Traum oder Alptraum interpretiert werden will. Anscheinend wird von den Veranstaltern mit Liebe immer selbiges assoziiert.
       

Wie dem auch sei, Les Chants de l'Amour, 1982-84 von Gérard Grisey für zwölf Stimmen und Tonband komponiert, lavierte eher zwischen der Frage Babylonisches Sprachgewirr oder Universalsprache? Die anfänglich hörbaren Konsonanten entwickeln sich nach und nach zu Namen, die zwar nicht zu verstehen waren, aber große Liebende bezeichnen sollen. Von den Sängern wurde immer häufiger, intensiver und länger vokalisch gesungen, bis überraschend das Tonband einsetzte. Der dominante Tapesound erinnerte an eine verfremdete Stimme, also an eine elektronische Stimmritze. Diese Universalstimme veränderte nie die Tonhöhe. Man konnte verschiedene Klangfarben, Pausen auch und vor allem im Wechsel mit den Sängern und dynamische Bewegungen u.a. der Lautstärke ausmachen. Als Sätze können für das 40-minütige Stück vielleicht fünf angenommen werden. Die beiden ersten sind schon angedeutet. Zwischen dem zweiten und dritten entwickelt sich das vokalische Singen langsam zur Artikulation abstrakter Worte, in vielen interessanten Variationen über "Liebe" und "Zeit". Nach einem Bruch erklangen glasstypische Geräusch- und Gesangparts über weite Strecken minimal aber rhythmisch konstant, wobei als Besonderheit das simulierte Vogelgezwitscher der Sänger überraschte. Danach nun wechselten Stimmen und Tape die Rollen und erstmals kamen vom Band Worte, Konsonanten und ähnliche Laute der menschlichen Stimme. Den Schluss bildete eine Steigerung dessen, wobei wieder die Vogelstimmen erklangen, das Tape jedoch ständig die Geschwindigkeit wechselte. Nach einem abrupten Ende simulierten die Stimmen den Geschwindigkeitseffekt, der die Tonhöhe ändert, mit syntaktischen Sätzen die auf Tonleitern gesungen wurden. Dieses beeindruckende Stück spielte wirklich mit den Gegensätzen Stimme und Elektronik und konnte durch Synthese und Antithese hier völlig neue Klangerfahrungen erzeugen. Die Emotionen waren eher positiv und kraftvoll, was als Interpretation eine Universalsprache um den Begriff Liebe zuließ.

   
       
    Nach der Pause erklang für fast 30 Minuten Luigi Nonos …sofferte onde serene…, ein Stück von 1976 für Klavier und Tonband. Hierbei experimentierte Nono mit verschiedenen Möglichkeiten des Tapeeinsatzes. So wurde das Tape eingesetzt als Spiegel oder als Klangspeicher, der die Klänge zurückwirft oder aufgreift und festhält. Die dadurch erreichte Absolutheit von gespielten Klavierklängen behielt trotzdem die Lebendigkeit des Spiels von Marc Reichow. Als weitere Möglichkeiten wurde das Tape zur Verlängerung und Verstärkung eingesetzt, was die technische Seite dominieren ließ. Hier war eine ständiger Gegensatz spürbar, der sich aber nicht als Kampf der Instrumente, sondern als Ergänzung und Bereicherung und auch Untrennbarkeit herauskristallisierte.
       

Nach diesem Instrumentalstück traten die Stimmen zu einem frühen choralartigem Vorstück (1940?) von René Leibowitz zusammen, was außer dem Titel La notte nichts mit dem großen Motto Traum und Alptraum zu tun hatte. Das 3minütige Ereignis war trotzdem innovativ durch die Intensität. Von Interesse ist hierbei die frühe, teilweise konventionell wirkende Herangehensweise von Leibowitz an Stimmen, die trotz ihrer Zurücknahme klar und frisch wirkten.

   
       
    Die Intensität ist nun wohl das wichtigste Charakteristikum für Iannis Xenakis' Nuits (1968) für zwölf Stimmen. Dynamische Parts in konstanten Unisonostimmen wechselten mit harten, aber leiseren oder kürzeren (oder einfach konsonantischen) Klängen. Die 20 Minuten des Stückes waren ein wahres Feuerwerk der Stimmen, die in ihrer Klangfülle, Lautstärke, Tonhöhe, Harmonie, ihrem Rhythmus und ihrer Länge alle Register zogen und vom Minimum bis zum Maximum alles bedienten. Dementsprechend war auch der Beifall für dieses durch einen beabsichtigten Huster beendeten Stückes. Angesichts des Beifallsturmes kann man der Neuen Musik nur weitere solcher gut besuchten Veranstaltungen wünschen, die eben die Begeisterung nicht verfehlen werden.
       
     
© by MaW, 17. Januar 2004