REZENSION
                             
       

Schafe sind auch nur Menschen!

Neue Perspektiven auf dem Kriminalmarkt: Detektivroman mit Kollektiv, beurteilt von MaWozniak

Swann, Leonie: Glennkill. Ein Schafskrimi. München: Goldmann 2005, 375 S.

   
       
   

Der Buchmarkt, das unbekannte Wesen! Wieder einmal hat ein Text einer völlig unbekannten Autorin, welche noch dazu unter Pseudonym veröffentlicht, die Bestsellerlisten geschafft. Fast 120.000 Exemplare in weniger als sechs Monaten sind verkauft, und das nicht etwa in einer Sparte mit sicheren Käufern, sondern auf dem hart umkämpften Markt des Kriminalromans, oder besser gesagt: des Detektivromans.

       

Nun ist anzunehmen, dass zu diesem Buch auch Leser greifen, die nicht ständig Krimis lesen. Denn nicht die Handlung ist das Herausragende, sondern die Erzählweise. Natürlich geht es um Mord und um seine Aufklärung. Nur übernehmen diese Aufgabe weder Kommissare im ständigen Einsatz wie im Kriminalroman, noch Damen im Rentenalter wie im Detektivroman, sondern Schafe. Es handelt sich um einen Schafskrimi, wie der Untertitel auch schon ankündigt. Das ist doch mal etwas neues, eine Konferenz der Tiere zur Klärung eines Mords an ihrem Schäfer. So schnell geht das nun aber alles gar nicht, weil die Schafe nämlich nicht so schlau, oder besser gesagt: nicht so dumm sind, alles zu glauben, was die Indizien vermuten lassen. Schon deshalb nicht, weil sie viele menschliche Motive nicht verstehen können und verstehen wollen. Und hier nun liegt die Stärke dieses Tierbuches: es führt uns unsere Schwächen vor Augen, ohne zu moralisieren. Es hinterfragt die banalsten Dinge aus der Schafsperspektive, die eben jede noch so dumme Frage erlaubt.

   
       
   

Die Schafe müssen sich erst einmal mit den Fakten auseinandersetzen, sie müssen Indizien sammeln, Tatmotive suchen und die Ereignisse rekonstruieren. Das machen sie auf originelle Art und Weise. Naive Kommentare und wie erwähnt dumme Fragen erzeugen dabei Komik, die konstitutiv für den Text ist. Die Schafe werden sowohl in ihrer Eigenart treffend dargestellt als sie auch eigene Charaktere entwickeln. Diese Charaktere sind sehr differenziert und tief gezeichnet, jedes Schaf hat seine Schwächen und Stärken. Hier zeigt sich der Tierbucheffekt, bei dem die handelnden Tiere Spiegelbild und Herausforderung für die Menschen - die lesenden Menschen - sind. Dabei erweist die Autorin, deren Name an Proust erinnert, etlichen Genreautoren ihre Reverenz. Die Schafe tragen Namen von literarischen Figuren oder zumindest Namen, die darauf verweisen. Das klügste Schaf, das auch den Fall lösen wird, heißt Miss Maple, ein anderes Schaf, welches immer als Wanderer unterwegs ist, Melmoth und das schwarze Schaf ist natürlich Othello.

       

Aber auch in der Handlung gibt es etliche intertextuelle Verweise. Z.B. verweist sie auf die griechische Mythologie über die Operation Polyphem, die aus Homers Odyssee bekannt ist. Sie verbindet dieses Motiv mit einem brisanten Thema aus der jüngsten Literatur, mit Drogen. Die Schafe wurden von ihrem Schäfer als Drogenkuriere eingesetzt, was aber im Roman nicht kritisch dargestellt wird, sondern als glücksverheißende Anekdote am Rande. Und hier liegt auch das Problem des Textes: der über weite Strecken sehr reflektierende Text wird mit diesem symbolischen Drogenmotiv sehr trivial. Die Distanz der Schafe gegenüber Marihuana ist ironisch zu verstehen und wird gemeinsam mit den Erlebnissen eines Schafes mit diesem "Gras" dazu eingesetzt, diese Droge als Lebenswirklichkeit zu erfassen.

   
       
   

Damit zeigt sich, dass das Buch trotz aller Komik und Phantastik in der Gegenwart verortet ist. Darauf weist auch die Benutzung von Begriffen wie Euro und Jahreszahlen hin. Das ist nicht unbedingt gekonnt gemacht. Trotzdem hält der Text insgesamt sehr prägnante poetologische Kommentare bereit. Die mehrfach diskutierte Poetik des Textes zeichnet sich aus durch eine einfache Erzählweise, die durch die naiven und typisierten Figuren, die trotzdem Charakter zeigen, eine ironische Wirkung erzielt. Durch diese Ironie führt der Text alle komplizierten Vorstellungen vom Leben und vom Sein ad absurdum. Diese Fragen nach dem Wesentlichen können die charakterstarken Schafe aber nur für sich beantworten. Dieser umfangreiche Erstlingsroman der 1975 geborenen Leonie Swann ist ansprechend und amüsant, weil er weiß, was er will und weil er handwerklich herausragend ist.

       
     
© by MaWozniak, 01. Februar 2006