REZENSION
                             
       

Umziehen ist notwendig!

Musik für Flöte solo von Karlheinz Stockhausen -- entdeckt von MaWozniak

   
       
   

Manchmal sind es die kleinen Konzerte, die uns tatsächlich erfreuen. Man kommt doch immer mit einigen Vorbehalten zu Konzertterminen in Berliner Kirchen, die statt Professionalität eher Kleinkunst erwarten lassen. Wenn dann auf dem Konzertprogramm noch ein Name wie Karlheinz Stockhausen auftaucht, wird man vollends skeptisch. Am Sonntag, dem 18. April 2004, kamen unter dem Motto "Fremde Schönheit" (ein vormaliger Vortragstitel Stockhausens) vier Kompositionen für Flöte solo zum Vortrag. Die Aufführung war rundum gelungen und strafte alle Vorbehalte Lügen. Katrin Plümer trug die vier Stücke überzeugend und professionell vor und entging der Gefahr, die teilweise mit vorgeschriebener Kleidung und komponierten Bewegungsabläufen ergänzten Kompositionen esoterisch zu interpretieren, durch die hohe Qualität ihres musikalischen Vortrages. Im Vordergrund stand tatsächlich die Konzeption von Instrumentalmusik in Soloaufführung mit dem Instrument Flöte. Die längeren Umbau- bzw. Umkleidepausen nutzte Frank Gutschmidt dazu, einführende Worte zu den einzelnen Kompositionen zu geben.

       

Flautina für Flöte mit Piccolo und Altflöte, ein schwer spielbares Stück von 1989, zeichnet sich vor allem durch die Klangrichtungsänderungen und die im Instrument vereinigten Gesangsstimmen und Flötentöne aus. Das ca. 15-minütige Stück wurde auswendig -- übrigens eine Forderung des Komponisten -- und in einer Art Hermeskostüm mit einem selbstgebauten Flötenköcher vorgetragen.

   
       
   

Darauf folgte aus dem Zyklus Amour für Klarinette die für Flöte bearbeitete Version des im Goldenen Schnitt komponierten Die Schmetterlinge spielen von 1976. Zwei Figuren, eine triolische und eine mit dorischen Sechzehnteln, vollführen sechs Begegnungen, die mit elektrisiert, nervös oder zärtlich verspielt bezeichnet worden sind. Gerade die formale Geschlossenheit eines eigentlich in einem Zyklus komponierten Stückes überzeugte bei dieser Komposition.

       

Der Originaltitel des darauf folgenden Stückes Der Tierkreis lautet für Melodie und/oder Akkordinstrument und ist tatsächlich für Spieluhren komponiert worden. Die vorgetragene Version für Flöte Piccolo und Altflöte hat Katrin Plümer selbst erarbeitet. 12 Melodien, für jedes Sternzeichen des Jahres eine besondere, variieren in ganz verschiedener Weise. Auffällig auch hier die gleichzeitige Integration weiterer Parameter wie Klangrichtung oder besondere Klangfarben, z.B. Schellenring (im Sternbild Löwe), Gesang (im Sternbild Jungfrau), stimmhaftes Flötenspiel (Steinbock) oder Ventilspiel (Stier). Diese Komposition, so Frank Gutschmidt, eignet sich auch für Amateure oder Kinder.

   
       
   

Das letzte Stück lehnte sich inhaltlich an das Motto des Abends an. Ypsilon von 1989 ist, wie auch Flautina, gleichzeitig mit dem Opernzyklus Licht komponiert worden und nimmt die dort verwendete Evaformel auf. Diese wird auf 9 Minuten gedehnt. 16 nur relativ notierte Tonhöhen wurden von Katrin Plümer auf einer kleinen Terz abgebildet, was ungefähr Elftel-Tönen entsprechen müsste. Realisiert wurde das durch alternative Griffe, die zu vielen Klangfarbenwechseln führten und einen schwebenden Klang erzeugten. Die mikrotonalen schwebenden "fremden" Klänge wurden durch Schellen an einem indischen Schellenkostüm ergänzt, die durch einen komponierten Bewegungsablauf zum Einsatz kamen. Hier war die Gefahr, ins bloß Esoterische abzurutschen, besonders groß, aber Frau Plümer hat durch den exakten Vortrag den Eindruck von Beliebigkeit oder Improvisation erfolgreich vermieden. Das Stück wurde übrigens auch auswendig vorgetragen.

       

Das 30-köpfige Publikum zollte diesem gelungenen Vortrag auch ausgiebigen Beifall. An diesem Abend zeigte sich, wie überraschend und gelungen kleine, intime Solokonzerte an unbekannten Orten ausfallen können. Das Konzert fand in der oktogonalen Philipp-Melanchton-Kirche in Berlin-Neukölln statt.

   
       
     
© by MaW, 20. April 2004