REZENSION
       

Ich wär so gerne Millionär (oder Schweizer)

Was Dürrenmatt mit den Prinzen zu schaffen hat und wie sich das neue theater Halle sonst so präsentiert -- eine Theaterkritik zum 21. Oktober 2003 von MaW

   
       
    Schülertheater meint eigentlich das von Schülern aufgeführte Theater, wogegen Kindertheater Theater für Kinder bezeichnet. Nehmen wir uns also die Zielgruppenbedeutung des letzteren und stellen uns eine Inszenierung von Dürrenmatts Klassiker Der Besuch der alten Dame für Schüler vor. Die zu 90 Prozent aus Schülern bestehende Besucherschaft rief nämlich durch ihr Verhalten diese Vorstellung der Inszenierungsintention hervor, und auch die gänzliche Konventionalität und provinzielle musikalische Kosmetik bestätigte unseren Eindruck. Zudem wurde an der Theaterkasse kommentiert: "Die Dame ist immer voll." (Premiere war am 19.12.1997.)
       

Aushängeschild und Basis jeglicher Inszenierungen im neuen theater Halle ist die Bühne, die gleich einer Zirkusarena von drei Seiten durch Zuschauerränge umgeben ist. Hier nun spielte sich das groteske Schauspiel Dürrenmatts ab, das wahrscheinlich durch die Verwendung von Liedern der Prinzen noch grotesker erscheinen sollte. Zentral für den Gastregisseur Hansjörg Utzerath war die Käuflichkeit. Nur schade, dass es im Stück nicht um die Käuflichkeit geht, sondern um die Frage nach Freiheit und Notwendigkeit. Insofern ist hier die Intention etwas daneben gegangen. Aber der Reihe nach!

   
       
    Die Handlung des Stücks ist denkbar einfach: Claire Zachanassian -- die alte Dame -- kehrt, nachdem sie Multimillionärin (im nt Milliardärin) geworden ist, in ihren Geburtsort Güllen zurück. Die dortige Bürgerschaft knüpft alle monetären Hoffnungen an diesen Besuch, da die Stadt gänzlich verschuldet ist. Die Zachanassian ist bereit, der Stadt 1 Milliarde zu schenken, fordert dafür nur Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit äußert sich in der Hinrichtung des honorigen Bürgers Ill.
       

Vor der eigentlichen ersten Szene, die alle Regieanweisungen Dürrenmatts ignoriert und stattdessen gläserne Vitrinen mit exklusiven Produkten benutzt, kommen die vier Bürger mit dem Prinzenhit Millionär an die Reihe. Abgesehen von der durchaus vorhandenen Qualität des Gesangs war spätestens hier alles klar. Viel mehr Experimente erlaubte sich die Inszenierung nicht. (Die Lieder waren in der Mehrzahl von den Prinzen, aber auch Bobby McFerrin kam u.a. zum Zug.)

   
       
    Die reduzierte Bühne verzichtete allerdings nicht auf die angegebenen Requisiten. Und auch Personen wurden fast nicht gestrichen (Ills Familie musste allerdings dran glauben). Stattdessen bot die Aufführung in alter nt-Tradition wieder einmal Laienschauspielern die Möglichkeit der Darstellung. Der in der letzten Szene auftretende Turner durfte schon in einer nicht von Dürrenmatt vorgesehenen Begrüßungsszene die Vorlieben Frau Zachanassians für Sportkleidung erfahren. Allerdings zeigte diese Szene die Professionalität der engagierten Schauspieler. So reagierte die leider unpassend geschminkte alte Dame, gegeben von Danne Hoffmann, sehr souverän und spielsicher. Auch und vor allem die Leistung von Hilmar Eichhorn als Ill muss als herausragend vermerkt werden. Er spielte den "schmierigen Krämer" genauso überzeugend wie den manisch Verfolgten und den seelisch Geläuterten. Nicht vollständig überzeugten der Bürgermeister (Thomas Just), der Pfarrer (Andreas Range) und der Lehrer (Till Schmidt), wiewohl der Lehrer als Chorleiter herausstach und bei der Verteidigungsrede für die Gerechtigkeit überdurchschnittlich brillierte. Leider folgten der Butler Boby (Peer-Uwe Teska) und die Ehemänner VII-XI (Jörg Simonides) den Anforderungen des Schuldramas: der Butler spielte Diner for one und die Ehemänner mimten bekannte Persönlichkeiten, bspw. Albert Einstein.
       

Wie schon erwähnt bekleideten die vier Bürger (u.a. Johannes Gabriel u. Martin König) besondere Rollen, die vor allem auf den Gesang zielten. Die Szenen, in denen die Bürger Wald zu spielen haben, wurden ausgesprochen passend und professionell durch a capella (Waldgeräusche und Vogelsang) ergänzt. Ansonsten wurde ihre Rolle durch die Prinzen stigmatisiert -- zumindest für die Prinzenkenner, die keine Fans sind. Somit ist wieder einmal bewiesen, wie konstitutierend die Musik für eine Theaterinszenierung ist. In unserem Fall verfehlte die Musikauswahl nicht die Wirkung beim Publikum, aber in einer wohl nicht durch Dürrenmatt vorgesehenen Weise. Die Szenen scheinen nurmehr die Songs zu illustrieren und die Allgemeinplätze der Prinzen werden zur Interpretation nicht nur ergänzend dankbar angenommen, sondern allenfalls bestätigt.

   
       
    Dadurch wurde der Schwachpunkt des Stücks -- die Forcierung der Rezession durch Zachanassian -- genauso wie die Formel: Jeder ist käuflich in den Mittelpunkt gerückt. Leider krankte auch die finale Szene, bei der wie schon erwähnt die rhetorische Meisterleistung des Lehrerplädoyers überwältigte, daran und ging im "Medientroubel" fast unter. Die Reaktionen des Publikums können bei einem Schülerpublikum selten Indikator der Aufnahme eines Stückes sein. Zwar nötigte anhaltender Beifall die Darsteller mehrfach ins Podium, allerdings wurde auch kein exzessiver Beifallssport -- wie sonst beim Schülertheater üblich -- betrieben. Kaum ein Schauspieler bekam außergewöhnlichen Beifall, was leider schon dadurch fast unmöglich war, dass die wenigsten allein und längere Zeit allein in den Beifallssturm traten. Diese konventionelle Inszenierung lebte trotz des zweifelhaften Regiekonzeptes für den aufmerksamen Zuhörer durch den Text, ist aber für eine schülergerechte Auseinandersetzung eher ungeeignet -- für eine intellektuelle sowieso!
       
     
© by MaW, 25. Oktober 2003.