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Die Freiheit
ist auch nur eine Hure!
Heiner Müllers
Auftrag in Berlin -- rezensiert von MaWozniak
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"Es
ist langsam Zeit für Heiner Müller" raunt mir meine
Nachbarin vor Beginn der fast ausverkauften Vorstellung von Heiner
Müllers Stück Der Auftrag am 10. Januar 2004 im Haus
der Berliner Festspiele zu. Sie führt aus, dass manchmal längere
Zeit -- Zeit des Vergessens? -- notwendig sei, damit man Texte neu
entdeckt. Dass Müllers Text neu entdeckt werden kann, steht außer
Frage, wie man ihn allerdings inszenieren muss, bleibt -- wie für
andere Müllertexte auch -- mit großen Fragezeichen versehen. |
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Mit hochkarätiger
Besetzung wagt Ulrich Mühe zum 75. Geburtstag seines Lehrmeisters
eine Inszenierung, bei der die Zeit stehengeblieben scheint. Nun
geht es im Text auch unmittelbar um die Zeit und um die Freiheit,
die ja von nichts weniger abhängig sein soll, als von der Zeit.
1799 planen drei Emissäre des französischen Konvents,
Debuisson (Herbert Knaup), Galloudec (Ekkehard Schall) und Sasportas
(Florian Lukas), einen Sklavenaufstand auf Jamaika gegen die Herrschaft
der britischen Krone. Nach der Machtübernahme durch Napoleon
erübrigt sich dieser Auftrag, was Sasportas jedoch nicht hinnimmt
und gemeinsam mit Galloudec den Sklavenaufstand vorantreibt. Die
Diskussionen der drei mit und ohne Auftrag, die von Müller
teilweise als Stück im Stück geplant sind, stellen den
zweiten und Hauptteil des Stückes dar -- vielleicht spricht
man der Einfachheit halber vom zweiten Akt. Der Beginn des Stückes
-- oder der erste Akt -- spielt lange nach dem Tod der drei Beauftragten
und klärt über ihr hoffnungsloses Schicksal sowie über
den Auftraggeber Antoine, gegeben von Udo Samel, auf. Allerdings
ist "aufklären" bei Müller mehr als übertrieben.
Vielmehr sind historische Fakten, oder besser gesagt: Möglichkeiten,
durch theatralische und visionäre Sentenzen aufgebrochen und
verfremdet. Der Bürger Antoine, Auftraggeber für die Revolutionäre,
verleugnet sie und sich, um dann, im Augenblick des Genießens,
der doch nur eine Flucht sein kann, vom Engel der Verzweiflung (Christiane
Paul) heimgesucht zu werden. Dieser vergegenwärtigt daraufhin
mehr oder weniger den zweiten Teil des Stücks, also das Gespräch
der drei Beauftragten.
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Zentral
ist die Frage nach dem Auftrag: wie handele ich unter veränderlichen
Umständen?! Dabei wird ganz klar die Frage gestellt, ob Handeln
erstens notwendig und zweitens möglich ist und drittens wenn
welche Konsequenzen hätte. Die Antwort bleibt uns Müller
schuldig, da Müllers Texte für eine Inszenierung völlig
offen sind. Allerdings benötigen sie in der Aufführung eine
Tendenz, da im Text alle Spektren, alle Extreme und Gegenteile bedient
werden und Theater vielleicht etwas bewirken kann, zumindest immer
am durch innovative Inszenierungen bedienten Zeitgeist beurteilt wird.
Leider wird der Zuschauer etwas allein gelassen, denn klar spricht
sich Mühe in der Inszenierung auch nicht aus. Vielmehr stellte
er am Premiereabend unverständlicherweise die Frage, was Heiner
Müller uns heute zu sagen hätte, lebte er noch. Er hätte
viel tun können in dieser Neuinszenierung, um Müllers Text
als zeitloses Lehrstück über Sublimierung in der Politik,
Korruption und Gewalt, sowie Hedonismus vorzuführen. Das passiert
trotz vieler Änderungen nicht. Geht man von den eigenwilligen
Änderungen aus, die vorgenommen wurden, so haben wir einerseits
die Entschärfung grotesker Szenen (obschon das Publikum Komik
am besten versteht), andererseits aber auch die Veränderung der
Rollen. Eine erste Änderung betrifft beide Punkte, da Christiane
Paul auch den Matrosen gibt, der im ersten Teil dem Auftraggeber Antoine
das Vermächtnis Galloudecs überbringt. Die Idee, aus dem
Matrosen dann den Engel der Verzweiflung hervortreten zu lassen, ist
sehr gut. Leider sind aber die grotesken Szenen mit dem Matrosen gekürzt.
So folgt auf die Beschreibung, dass die Gehängten direkt ins
Meer fallen und "die Haie [
] den Rest" besorgen, nicht
mehr die Sentenz "Danke für den Wein." |
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Eine zweite
Umbesetzung folgt nach einem Revolutionsspiel zwischen Danton und
Robespierre -- ausgeführt von Galloudec als Danton und Sasportas
als Robespierre --, das als absurder Verbalkampf und als Spiel im
Spiel veranstaltet wird. Am Ende dieses Kampfes dreht sich die Welt:
Sasportas als ehemaliger Sklave wird als König gekrönt
-- in Anspielung an Napoleons Werdegang nach der eigentlich bürgerlichen,
antimonarchistischen Revolution. Nun folgt bei Müller ein aus
der Zeit fallender Monolog Sasportas', der um die Frage der Zeitabhängigkeit
des Handelns kreist. Dieser Monolog wird auch von Udo Samel gesprochen,
allerdings nicht in seiner Rolle des Antoine, sondern in der Rolle
eines versteinerten Geschäftsmannes. Diese Änderung hat
einiges für sich, da Sasportas hier sehr aus der Rolle gefallen
und die nichtvorhandene Verbindung vom Zuschauer gesucht worden
wäre. Der Monolog erinnert an einen Alptraum, dass man trotz
Einhaltung von Pünktlichkeit, weder pünktlich noch überhaupt
zu seinem Termin kommt. Durch Absurdität -- "Ich verlasse
den Fahrstuhl [
] und stehe ohne Auftrag [
] in Peru"
-- wird hier nicht nur die menschliche Zeitvorstellung aufgelöst,
sondern auch der Mensch an sich. Er wird eins mit der Umgebung,
die aus ruinösem Vulkangestein zu bestehen scheint; er verliert
ohne Auftrag seinen Sinn!
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Der
wichtigste inhaltliche Punkt ist jedoch die Einsicht Debuissons, Genuss
als Verrat zu begreifen. Man fällt in Schande, wenn man glücklich
ist. Hier deutet sich die Intention Müllers an, dass trotz des
sicheren Todes, trotz der Gewissheit des Scheiterns eine "Blume
der Hoffnung" besser ist, als in den Genuss ohne Auftrag zu fliehen.
Gerade in einer eisigen Welt, einer unbeweglichen versteinerten Zeit
-- man bedenke das Entstehungsjahr 1979 -- bleibt ein Auftrag ein
Auftrag, auch wenn sich alles oder nichts ändert (Alles ist so
gut wie nichts!). Die Zukunft ist, wie eben die Zeitkonstruktion des
Stückes andeutet, schon längst Vergangenheit. Einzig verständlich
bleibt jedoch das Heute, für das es einen Auftrag gibt, der wiederum
Utopie ist, also doch schon immer da war und in der Zukunft kommen
kann. "Wir sind drei Welten" heißt es, was eben sowohl
auf die Zeit, wie auch auf gesellschaftliche Vorstellungen bezogen
werden kann -- in diesem Punkt folgt Müller einem klassischen
Zahlenspiel und hier ließ die Inszenierung auch keine Fragen
offen, ohne jedoch die neugierigen Zuschauer wirklich erreicht zu
haben. |
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Als eigentlicher
Höhepunkt der Aufführung muss jedoch der Auftritt von
Inge Keller als ErsteLiebe (im Original zusammen, auch wenn die
übrige Kritik das ignoriert!) gelten. Durch ihr hohes Alter
konterkariert sie absolut die Vorstellung von erster Liebe an sich.
Statt Hingabe hat sie für Debuisson nur Gewalt und Hohn übrig
und transformiert die einst junge Liebe zu einer makabren Nekrophilie.
Wie eine große Spinne bewegt sie sich an zwei Stöcken
und in einem übertriebenen Witwenkleid gespenstisch über
die Bühne -- eine große Leistung der 80jährigen
Inge Keller.
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Die
Ausstattung nun will gerade das Versteinerte und das Vergangene manifestieren:
in Ruinen und vulkanartigen Bühnenbildern wird in futuristischen
Kleidern gespielt. Nur leider erinnern die Kostüme meistenteils
an Müllers Inszenierungen der 1980er Jahre oder an Endzeit-B-Movies
à la Mad Max, was für ein Stück, das mit Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft spielt, nicht unbedingt förderlich ist.
Als Standardeinlage brillierte Sasportas als Affe, was sowohl Assoziationen
zur Urzeit wie zu Planet der Affen zulässt. Dabei muss
auch besonders der gerade nicht politisch korrekte Umgang mit Schwarzen
-- im Stück natürlich Neger genannt -- hervorgehoben werden.
Hier wirft Theater den Zuschauer tatsächlich wieder auf sich
selbst zurück und fordert Auseinandersetzung. Schade, dass die
schwarze Statistin in der Rolle des Geschenks der ErstenLiebe auf
der Besetzungsliste nicht auftaucht. Die minimale Klanginstallation
wirkt sehr passend und mutet ebenfalls apokalyptisch an. Anfangs ist
die Verbindung des Einzelnen mit dem Auftrag durch ein monotones Geräusch
verdeutlicht, welches am Schluss des Stückes wieder auftritt
und den Anschluss zum zeitlich jüngeren ersten Akt sucht. Es
gab noch eine kleine Gesangseinlage bei dem makabren Dialog der Eltern.
Hier mahnen die Eltern aus dem Grab heraus ihren Sohn Debuisson. Die
modernste Musikeinlage, die durchweg gelungen ist, schafft eine Verbindung
zwischen dem Sklaven Sasportas und Gangster-Rap. |
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Einige wenige
Zuschauer gingen erwartungsgemäß vor der Zeit, das gehört
nach wie vor bei Müllerstücken dazu. Wenige Buh-Rufe (in
der Premiere fragte wohl ein Zuschauer mit Berliner Schnauze zwischen
Schlussakkord und Beifall: "Dit solls schon jewesen sein??")
konnten den ausgiebigen Beifall, vor allem für Inge Keller,
Udo Samel und Ekkehard Schall, aber auch für die Neulinge Christiane
Paul und Florian Lukas, nicht schmälern. Es wurde damit aber
auch deutlich, dass Müllers Text nicht wirklich angekommen
ist und vor allem die Leistung der Schauspieler beklatscht wird.
Inwieweit Müllers Texte nun wirklich reif sind, bleibt nach
wie vor offen, oder vielmehr zweifelhaft. Die Zuschauer schienens
trotzdem zufrieden -- auch ohne Auftrag.
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