REZENSION
                             
       

"Das Leben kann noch ein Abenteuer sein. Ich muss mich nur hineinstürzen." Verbrecherjagd als Sozialstudie im Debütroman von Karl Anton

Anton, Karl: Die Russenpistole. Quedlinburg: Letterado Verlag 2006, 206 S., gelesen von MaWozniak am 07. Oktober 2006

   
       
   

Als zweiter Roman in der Reihe Harzkrimi erschien im Herbst 2006 Die Russenpistole von Karl Anton. Dieser Text steht in der Tradition des Detektivromans. Ein ehemaliger Polizist, verwitwet und im Ruhestand, stürzt sich in einen verzwickten Kriminalfall. Er tut das, weil er eine Leiche findet und weil es ihn reizt, seinen alten Beruf wieder auszuüben. Außerdem ist er vorher zufällig schon verschiedenen Tätern begegnet, ohne jedoch von ihrem Treiben zu wissen. Dieses jedoch kennt der Leser dank der sehr originellen und modernen Erzählweise des Autors.

       

Innerhalb des Textes sieht sich der Leser nämlich zwei Erzählperspektiven gegenüber, die oftmals noch durch innere Monologe und Reflexionen verschiedener Figuren ergänzt werden. Die erste Perspektive wird von einem Erzähler eingenommen, der das Geschehen teils neutral, teils aus dem Blick der beteiligten Personen wahrnimmt. Die zweite Perspektive ergibt sich daraus, dass die Hauptfigur Otto Schneider als Ich-Erzähler auftritt. Hier häufen sich Kommentare und Erinnerungen, jedoch wird das aktuelle Geschehen auch hier durch wörtliche Rede wiedergegeben. Alle Ebenen sind also eindeutig identifizierbar, vor allem durch den gekonnten Einsatz von sprachlichen Zeitformen. Damit kommt der Autor sowohl den Lesererwartungen des Genres entgegen, als er auch in der Tradition modernen Erzählens steht. Diese bevorzugt Brüche in der Erzählweise, weil der Gegenstand nicht stringent erzählbar ist, sondern sich jeweils verändert und rätselhaft verzweigt.

   
       
   

Der klassische Detektivroman stellt das Verbrechen an den Anfang und klärt es im Laufe der Handlung auf. Bei Anton wird dieser Aufklärungsversuch einerseits durch Rekonstruktion der Vergangenheit, andererseits durch überraschende Wendungen in der zeitlich nach vorn strebenden Handlung realisiert. Das ergibt eine spannende Kriminalgeschichte. Gleich am Anfang wird eine Sparkasse überfallen. Diese Verzweiflungstat eines verschuldeten und arbeitslosen Trinkers namens Stümper bildet den Ausgangspunkt weiterer Verbrechen, die aus unterschiedlichsten Motiven und von scheinbar integren Figuren begangen werden. Der Leser tappt wie der zeitweilige Ich-Erzähler Schneider ständig im Dunkeln und wird auf falsche Fährten geführt, die sich u. a. in Sympathie für Täterfiguren manifestiert. Das ist die große Stärke des Autors, dass er Alltagsfiguren entwirft und gekonnt charakterisiert. Es gelingt, Menschen aus dem Milieu so sensibel zu zeichnen, dass man ihnen plötzlich Respekt entgegenbringen kann. Auch Wendeverlierer und alternde Funktionäre werden in ihren Stärken und Schwächen dargestellt. Die Figuren werden präzise charakterisiert, ohne dass sich hier einfach Gute und Böse gegenüberstehen. Stattdessen entstehen differenzierte Charaktere. Dass diese mit der Mentalität und Geschichte der Vorharzregion um Halberstadt ausgestattet sind, macht den Text vor allem für Leser aus dieser Gegend attraktiv. Es handelt sich jedoch nicht um einen Schlüsselroman im eigentlichen Sinn.

       

Der Text hat das Zeug dazu, ein gesamtdeutsches Publikum zu unterhalten. Die Reflexionen auf die deutsche Geschichte betreffen nicht nur die DDR-Zeit, sondern auch schwere Erinnerungen an den Nationalsozialismus und Nachwendeerfahrungen für Menschen aus Ost und West. Mit diesem Debütroman ist dem Autor ein außergewöhnlicher Text gelungen, außergewöhnlich nicht nur für das Genre, sondern für die Gegenwartsliteratur insgesamt, die doch oftmals auf Sensibilität im Umgang mit Menschen verzichtet, meist zugunsten von bürgerlichen Tendenzen, Kitsch oder Schwarz-Weiß-Malerei.

   
       
     
© by MaWozniak, 30. Dezember 2006