REZENSION
                             
       

"Diesen Quedlinburgern waren doch ihre Ständerbalken schon durchs Gehirn gewachsen."

Christian Amling: Quitilinga History Land, rezensiert von MaWozniak am 30. Oktober 2005

   
       
   

Beginnt man mit der Lektüre des Romans Quitilinga History Land (2005), mit dem Christian Amling als Autor debütiert, so wird schnell klar, welche Themen den Text bestimmen. Einerseits ist es das alte Thema Liebe, wie sollte es anders sein. Andererseits kann als weiteres konstituierendes Thema nur eines ausgemacht werden: die Heimat. Ja, es handelt sich hier um einen Heimatroman und zwar in mehrfacher Weise. Der Plot selbst ist überdeutlich an Gegenwartsproblemen einer bestimmten Region festgemacht. Ausgangspunkt ist nämlich eine Investoreninnovation für die Stadt Quedlinburg, die durch die Verhinderungstaktik der Quedlinburger Politiker schon im Vorfeld vereitelt wird. Diese fiktive Tatsache ist ein Allgemeinplatz aus der Realität und jedem bekannt, der nur etwas an Lokalpolitik interessiert ist. Und bei dieser durchaus spannenden Eröffnung der Handlung wird der Topos vom fehlenden politischen Willen satirisch bloßgestellt und die Verantwortlichen für alle erkennbar karikiert. Das sind die beiden großen Stärken des Textes, die Satire und die Karikatur. Denn nicht nur missliebige Personen werden karikiert, sondern praktisch alle Figuren sind verschlüsselte literarische Porträts.

       

Der Text ist also auch ein Schlüsselroman, der zudem gegenwärtige Zustände satirisch bloßstellen will. Und das ist noch ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich doch auch um einen Heimatroman handelt. Die Romanfiguren porträtieren lebende Quedlinburger. Größtenteils bleiben die Porträts oberflächlich, manche Figur wird nur mit Attributen und ohne Charakter ausgestattet, was schon zu verletzten Gefühlen führte. Allerdings verzichtet der Text bewusst auf Tiefgang bei den Figuren, es geht um Spannung, um Unterhaltung. Der Unterhaltungswert ist natürlich höher, je mehr Porträts entschlüsselt werden. Das Gleiche gilt für die Orte, die alle bewusst ausgewählt und fast naturalistisch beschrieben werden. Damit haben wir auch auf der Rezeptionsseite einen weiteren Hinweis darauf, dass es sich um einen Heimatroman handelt. Wer als Leser aus Quedlinburg kommt, hat mehr vom Text.

   
       
   

Was bleibt nun übrig, wenn man weder die Figuren, noch die Orte kennt? Wie ist die Handlung, wie ist die ästhetische Qualität? Die Handlung ist trivial und soll an dieser Stelle nicht nacherzählt werden. Vor allem deshalb nicht, weil das Lesevergnügen sehr hoch ist und jeder das Vergnügen genießen sollte. Die Erzählweise ist gleichzeitig originell und konventionell. Dem Leser werden ständig aus verschiedenen Perspektiven ähnliche Informationen gegeben. Der Text glänzt durch Vorwegnahme und Wiederholung, erzeugt aber genau dadurch seine Spannung. Als Leser meint man, alles zu wissen. Abrupte Wendungen, bewusste Brüche in der Darstellung des Handlungsverlaufs oder spontane Handlungen der Protagonisten belehren uns Leser eines besseren. Kurzweil ist durch diese Erzählweise garantiert. Allerdings bleiben Erzählzeit oder die Dialoge sehr konventionell. Das soll -- auch durch Benutzung von Umgangssprache -- natürlich zur Identifikation beitragen.

       

Um so schmerzhafter fallen deshalb die vielen sprachlichen Fauxpas auf. Die Vorliebe des Autors für Sprichworte und Floskeln sollte überprüft werden, da gerade unpassende Sprichworte besonders auffallen und ästhetische Gründe für eine falsche Benutzung auszuschließen sind. Dafür hat der Text zu wenig Distanz zu sich selbst. Hier trifft der Vorwurf auch das Lektorat beim jungen Quedlinburger Kleinverlag Letterado. Genauso stößt man sich am fehlenden Tiefgang und der Reflexionslosigkeit der Figuren, die oftmals regelrecht in Ostromantik schwelgen. Das betrifft vor allem die dargestellten Umgangsformen mit der Polizei, die noch etwas Biss haben. Schon schlimmer wird es bei den Darstellungen von Alkoholkonsum, Selbstversorgung und Freizeitgestaltung. Und am Unverständlichsten sind die Utopien der Anderswelt, die so direkt nicht hätten ausgesprochen werden müssen. Statt dessen hätte man sich mehr ironische Distanz, vor allem im Hinblick auf die Liebesgeschichten gewünscht. Genauso, wie Distanz zu Verhaltensweisen und Macken der Figuren dem Konzept Humor besser getan hätte. Dann würden wir mit Quitilinga History Land den besseren Herrn Lehmann in Händen halten. Aber auch so haben wir einen handfesten Gegenwartsroman, der mehr Schlüssel- und Heimat-, denn Trivialroman genannt werden kann.

   
       
     
© by MaW, 04. November 2005